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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Unbehagen, aber Trintignant kniete nieder, um sie genauer zu untersuchen. Eine Kameradrohne aus dem Fundus der Ultras schwebte über der Szene und beobachtete sie mit ihren dicken starren Linsenbündeln.
    »Wer immer ihm das Bein abgenommen hat, hat saubere Arbeit geleistet«, meldete der Doktor, zog die Überreste der Anzugschichten zurück und legte den Stumpf frei. »Beachten Sie, wie Knochen und Muskeln genau auf einer Ebene durchtrennt wurden, wie bei einem geometrischen Schnitt durch einen platonischen Körper. Ich würde an einen Laser denken, nur sehe ich keine Kauterisierungsspuren. Mit einem Hochdruckwasserstrahl könnte man ähnlich präzise schneiden, aber auch mit einer besonders scharfen Klinge.«
    »Faszinierend, Doc.« Hirz kniete neben ihm nieder. »Trotzdem hat es sicher höllisch wehgetan, nicht wahr?«
    »Nicht unbedingt. Die Intensität des Schmerzes hängt in hohem Maße davon ab, wie die Nervenenden gekappt werden. Nein, der Schock scheint nicht die Hauptursache für den Tod dieses Mannes gewesen zu sein.« Doktor Trintignant betastete die Reste eines roten Stoffbands ein Stück oberhalb des Beinendes. »Auch war der Blutverlust trotz der fehlenden Kauterisierung nicht so groß, wie man erwarten könnte. Dieses Band war höchstwahrscheinlich eine Staubinde, wahrscheinlich aus der medizinischen Notausrüstung des Raumanzugs. In dieser Ausrüstung waren mit größter Wahrscheinlichkeit auch Schmerzmittel enthalten.«
    »Zu retten war er damit allerdings nicht«, bemerkte Childe.
    »Nein.« Trintignant erhob sich mit einer Bewegung, die mich an eine Rolltreppe erinnerte. »Aber Sie müssen zugeben, dass er sich in Anbetracht derart ungünstiger Bedingungen recht gut geschlagen hat.«
    Der Blutturm war bis weit nach oben hin nicht dicker als zwanzig bis dreißig Meter, und dicht unter der Zwiebel am oberen Ende noch weitaus dünner. Doch wie eine zierliche Schachfigur hatte er eine deutlich breitere Basis mit einem Durchmesser von etwa fünfzig Metern, was einem Fünftel der Gesamthöhe entsprach. Von ferne sah es so aus, als ruhe das Bauwerk fest auf diesem Fundament: ein gewaltiger Obelisk, der tief im Boden verankert werden musste, um nicht umzufallen.
    Doch dem war nicht so.
    In Wirklichkeit kam der Fuß des Blutturms mit Golgathas Oberfläche gar nicht in Berührung, sondern schwebte fünf bis sechs Meter hoch darüber im Nichts. Es war, als hätte jemand auf Pfählen hoch über dem Boden ein Gebäude errichtet und dann die Pfähle weggeschlagen, doch das Gebäude wäre geblieben, wo es war.
    Wir gingen alle mutig bis zum Rand, doch dann blieben wir stehen. Keiner war so ohne weiteres bereit, sich unter den Koloss zu wagen.
    »Forqueray?«, fragte Childe.
    »Ja?«
    »Ich wüsste gern, was Ihre Drohne dazu zu sagen hat.«
    Forqueray schickte die Kameradrohne unter das Bauwerk und befahl ihr, die Unterseite in immer größer werdenden Kreisen langsam von innen nach außen abzufliegen. Hin und wieder sprühte sie Laserlicht auf den Sockel, und ein paarmal flatterte sie sogar so weit nach oben, dass sie ihn berührte. Forqueray nahm mit gesenktem Blick die Daten auf, die in seinen Anzug übertragen wurden. Sein Gesicht zeigte keine Regung.
    »Und?«, fragte Celestine schließlich. »Wie, zum Teufel, wird es da oben gehalten?«
    Forqueray trat einen Schritt unter die Kante. »Keine Kraftfelder; nicht einmal ein kleiner Wirbel in Golgathas eigener Magnetosphäre. Keine größeren Abweichungen im lokalen Gravitationsvektor. Und -bevor wir mehr fortgeschrittene Technik unterstellen als unbedingt nötig – auch keine unsichtbaren Stützen.«
    Celestine schwieg eine Weile. Dann sagte sie. »Schön. Was ist, wenn der Blutturm kein Gewicht hat? Es gibt hier eine Atmosphäre; nicht viel, zugegeben – aber angenommen, der Turm wäre mehr oder weniger hohl? Der Auftrieb könnte ausreichen, um ihn schweben zu lassen wie einen Ballon.«
    »Nein«, sagte Forqueray und öffnete die Faust. Die Kamera flog ihm in die Hand wie ein abgerichteter Falke. »Da über uns ist feste Materie. Wie groß die Masse ist, kann ich nicht feststellen, aber sie blockiert eine messbare kosmische Strahlung, und keiner von unseren Scannern kann durch sie hindurchsehen.«
    »Forqueray hat Recht«, sagte Childe. »Aber ich kann verstehen, dass Sie das nicht wahrhaben wollen, Celestine. Es ist vollkommen normal, sich dagegen zu sträuben.«
    »Sich wogegen zu sträuben?«
    »Gegen die Erkenntnis, dass wir es tatsächlich mit etwas

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