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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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hässlichen Verdacht. Und wenn ich das alles zusammennehme, komme ich zu einem Schluss, der mich noch mehr beunruhigt.«
    Ich war das Thema allmählich leid. Die nächste Tür mit ihrem Rätsel lag vor uns, und paranoide Verschwörungstheorien waren das Letzte, was mir jetzt noch fehlte.
    »Nämlich?«
    »Childe weiß über den Blutturm viel zu gut Bescheid.«
    Ein neuer Raum, eine falsche Antwort, eine weitere Strafaktion.
    Die erste wirkte im Vergleich dazu wie eine sanfte Rüge. Ich nahm nur ein kurzes Aufblitzen wahr: in den glatten Wänden öffneten sich Klappen, und seltsame Maschinen schossen heraus, keine Speere diesmal, sondern Zangen mit vielen Gelenken und bedrohlich gekrümmten Scheren. Dann sprühte arterielles Blut unter hohem Druck durch den Raum und schmückte ihn mit rosaroten Fahnen, und Knochenteile prasselten wie Granatsplitter gegen die Wände. Ich erhielt ungefragt eine Lektion zur Anatomie des Menschen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ; mir wurde demonstriert, wie elegant Muskeln, Knochen und Sehnen miteinander verbunden waren, und wie grässlich mühelos sich alle diese Bestandteile mit scharfen chirurgischen Instrumenten voneinander lösen ließen – wie leicht man einen Menschen filetieren konnte.
    Ich hörte Schreie.
    Und spürte unbeschreibliche Schmerzen, bevor die Betäubung wirkte.
    Als wir hinterher Zeit hatten, über das Geschehene nachzudenken, kam wohl keiner von uns auf die Idee, Celestine diesen zweiten Fehler zum Vorwurf zu machen. Childes Modifikatoren hatten uns einen gesunden Respekt vor der Schwierigkeit ihrer Aufgabe eingeflößt. Wie schon einmal war ihre zweite Wahl die richtige gewesen; sie hatte uns den Weg zum Ausgang geöffnet.
    Und außerdem …
    War auch Celestine getroffen worden.
    Am Schlimmsten hatte es freilich Forqueray erwischt. Der Turm hatte sein Blut schon einmal gekostet, vielleicht wollte er mehr davon – mehr, als beim Abtrennen eines einzigen Gliedes vergossen wurde. So hatte er ihn gevierteilt: zwei rasche Schnitte mit den Horrorscheren; ein Längsschnitt und einen Augenblick später ein grausiger Querschnitt.
    Forqueray war in vier Teilen auf den Boden geplumpst; seine inneren Organe lagen offen wie bei einem Wachsmodell für Medizinstudenten. In seine Eingeweide schmiegten sich verschiedene Maschinen, die ebenfalls kreuz und quer durchteilt worden waren. Die Reste zuckten noch ein paarmal, dann lagen sie – mit Ausnahme seines Ersatzarms, der weiter zitterte – zum Glück still. Einen Augenblick lang geschah nichts, dann packten gegliederte Arme – schnell wie der Blitz – die vier Teile und zogen sie in die Wand. Nur klebrige rote Schleif spuren blieben zurück.
    Forquerays Tod wäre schlimm genug gewesen, doch der Blutturm teilte bereits weitere Strafen aus.
    Celestine fiel zu Boden. Sie drückte eine Hand fest auf den Stumpf des anderen Arms, dennoch spritzte das Blut in hohem Bogen aus der Wunde. Ich sah, wie sie hinter dem Helmvisier totenbleich wurde.
    Childe fehlten alle Finger der rechten Hand. Er drückte die blutende Handfläche mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Brust, blieb aber auf den Beinen.
    Trintignant hatte ein Bein verloren, doch aus seiner Wunde spritzte kein Blut, man sah auch keine durchtrennten Muskeln und Knochen, nur beschädigte Mechanik: verbogene oder gebrochene Stahl- und Plastikarmaturen, Funken sprühende Kabel, flackernde optische Fasern und abgerissene Versorgungsleitungen, aus denen ekelhafte grüne Flüssigkeiten quollen.
    Dennoch stürzte Trintignant.
    Auch ich spürte, wie ich fiel, und schaute nach unten. Mein rechtes Bein endete dicht unter dem Knie, und mein Blut schoss in dickem, scharlachrotem Strahl heraus. Dann traf ich auf dem Boden auf -der Schmerz hatte mein Gehirn noch nicht erreicht -und wollte unwillkürlich nach dem Stumpf greifen. Doch nur eine Hand kam dort an; der linke Arm war über dem Handgelenk glatt durchschnitten. Aus dem Augenwinkel sah ich meine Hand, noch im Handschuh, wie eine groteske weiße Krabbe auf dem Boden liegen.
    Dann erblühte der Schmerz in meinem Kopf.
    Und ich schrie.

Sechs
     
     
    »Mir reicht es endgültig«, sagte Hirz.
    Childe blickte von seiner Liege zu ihr auf. »Sie wollen uns verlassen?«
    »Darauf können Sie Gift nehmen.«
    »Sie enttäuschen mich.«
    »Mag sein, trotzdem steige ich aus.«
    Childe strich sich über die Stirn. Der neue Stahlhandschuh, den Trintignant an seinen Arm angefügt hatte, musste erst ihre Form ertasten. »Wenn

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