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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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hier jemand aufgeben sollte, dann sicher nicht Sie, Hirz. Sie konnten den Blutturm ohne einen Kratzer verlassen. Sehen Sie dagegen uns an.«
    »Danke, aber ich habe eben gegessen.«
    Trintignant wandte ihr seine Silbermaske zu. »Diese Bemerkung ist nun wirklich unangebracht. Zugegeben, man könnte die etwas brutale Ästhetik der hier angefertigten Ersatzglieder bemängeln, aber was die Funktion angeht, haben sie nicht ihresgleichen.« Wie um diese Aussage zu untermauern, beugte und streckte er seine Beinprothese.
    Sie war ein vollwertiger Ersatz, er hatte nicht einfach die alte Gliedmaße geborgen, repariert und wieder angesetzt. Hirz – die so viele Teile von uns eingesammelt hatte, wie sie nur konnte – hatte Trintignants Beinfragment nicht gefunden. Auch als wir den Umkreis des Bauwerks absuchten – wo wir Forquerays Überreste gefunden hatten –, entdeckten wir keine wichtigeren Bestandteile des Doktors. Der Turm hatte uns erlaubt, Forquerays Arm mitzunehmen, nachdem er abgefallen war, aber alle anderen Metallobjekte beanspruchte er offenbar für sich.
    Ich erhob mich von meiner Liege und belastete probeweise mein neues Bein. Trintignant hatte vorzügliche Arbeit geleistet, das musste ich ihm lassen. Die Prothese war so vollkommen mit meinem Nervensystem verbunden, dass ich das Bein bereits in mein Körperbild integriert hatte. Beim Gehen hinkte ich nur ein ganz klein wenig, und auch das würde verschwinden, wenn ich mich erst richtig an den Ersatz gewöhnt hätte.
    »Ich könnte Ihnen auch das andere abnehmen«, piepste Trintignant und rieb sich die Hände. »Dann wären Sie wieder im neuralen Gleichgewicht … Soll ich?«
    »Das hätten Sie wohl gerne?«
    »Ich gebe zu, dass mich Asymmetrien schon immer gestört haben.«
    Ich betastete mein zweites Bein, das Bein aus Fleisch und Blut, das sich jetzt so verletzlich anfühlte, als hätte es keine Chance, dieses Abenteuer zu überstehen.
    »Sie werden sich noch etwas gedulden müssen«, sagte ich.
    »Geduld bringt Rosen, wie man so sagt. Und was macht der Arm?«
    Wie Childe nannte nun auch ich an Stelle einer Hand einen Stahlhandschuh mein eigen. Wenn ich die Finger bewegte, hörte ich das schrille Winseln der Servomotoren. Bei jeder Berührung kribbelten mir die Finger; die Hand konnte feinste Abstufungen von Wärme oder Kälte wahrnehmen. Celestines Ersatzhand sah ganz ähnlich aus, nur schmaler und irgendwie weiblicher. Wenigstens waren bei uns die Prothesen durch unsere Verletzungen gerechtfertigt, dachte ich; anders als bei Childe, der nur die Finger verloren hatte, aber offenbar nicht unglücklich darüber war, dass ihn der Doktor mit mehr blitzenden Apparaturen ausgestattet hatte als unbedingt nötig.
    »Es geht so«, sagte ich. Forqueray hatte den Doktor mit dieser Feststellung sehr getroffen.
    »Begreifen Sie denn nicht?«, sagte Hirz. »Wenn Trintignant könnte, wie er wollte, sähen Sie jetzt schon aus wie er. Nur Gott allein weiß, wo er die Grenze zieht.«
    Trintignant zuckte die Achseln. »Ich repariere nur die Schäden, die der Blutturm anrichtet.«
    »Ja. Sie beide geben ein großartiges Gespann ab, Doc.« Aus ihrem Blick sprach der pure Hass. »Bedauere sehr, aber mich kriegen Sie nicht in die Finger.«
    Trintignant sah sie abschätzig an. »Bei so wenig Rohmaterial ist der Verlust nicht allzu groß.«
    »Geh zur Hölle, Widerling.«
    Hirz verließ den Raum.
    Eine Weile war alles still.
    »Sieht ganz danach aus, als wollte sie diesmal tatsächlich aufgeben«, sagte ich.
    Celestine nickte. »Ich kann es ihr nicht verübeln.«
    »Wirklich nicht?«, fragte Childe.
    »Nein. Sie hat Recht. Das Unternehmen ist auf dem besten Wege, zu einer perversen Selbstverstümmelungsorgie zu entarten.« Celestine betrachtete ihre Stahlhand, ohne ihren Ekel ganz verbergen zu können. »Was kommt noch alles, Childe? Wie werden wir aussehen, wenn wir dieses Ding besiegt haben?«
    Er zuckte die Achseln. »Es geschieht nichts, was nicht rückgängig zu machen wäre.«
    »Aber vielleicht wollen wir das dann gar nicht mehr?«
    »Hören Sie, Celestine.« Childe lehnte sich gegen ein Schott. »Wir versuchen hier, eine Naturgewalt zu bezwingen. Einen Gipfel zu erstürmen, wenn Sie so wollen. In dieser Hinsicht hat der Blutturm große Ähnlichkeit mit einem Berg. Er bestraft uns, wenn wir Fehler machen. Das tut auch der Berg. Gelegentlich tötet er auch. Aber meistens kommen wir mit einer Warnung davon, die uns zeigt, wozu er fähig ist. Der Blutturm schneidet einem ein

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