Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
manipuliert.«
»Dann sagen Sie ihm die Wahrheit über die Klone. Und über den Blutturm.«
Childe wandte sich wieder der Tür zu, offensichtlich unschlüssig, ob er zuerst die Aufgabe lösen oder Celestine zum Schweigen bringen sollte. Inzwischen blieben uns nur noch knapp sechs Minuten, und ich war trotz der Ablenkung einer Lösung nicht näher gekommen, ich sah noch nicht einmal einen ersten Ansatz.
Wieder wandte ich mich an Childe. »Was ist aus den Klonen geworden? Hast du einen nach dem anderen in den Turm geschickt, weil du hofftest, sie könnten für dich den Weg zur Spitze finden?«
»Nein.« Fast hätte er über meine Begriffsstutzigkeit gelacht. »Ich habe sie nicht vor mir hereingeschickt, Richard. Keineswegs. Sie kamen nach mir.«
»Entschuldige, aber das begreife ich nicht.«
»Ich ging als Erster, und der Turm tötete mich. Doch im Vorfeld hatte ich mich selbst getrawlt und die gewonnenen Erinnerungen auf einen kurz zuvor gezüchteten Klon übertragen. Dieser Klon war keineswegs eine perfekte Kopie – er verfügte zwar über einen Teil meiner Erinnerungen und einige grobe Persönlichkeitsmerkmale, aber er wusste sehr genau, dass er nichts anderes war als ein kürzlich entstandenes Kunstprodukt.« Childe wandte sich wieder der Aufgabe zu. »Hört mal, das ist alles sehr interessant, aber ich finde wirklich …«
»Die Aufgabe kann warten«, sagte Celestine. »Außerdem glaube ich, eine Lösung zu erkennen.«
Childes schmaler Hundekörper spannte sich erwartungsvoll. »Tatsächlich?«
»Nur einen ersten Ansatz, Childe. Kein Grund zur Aufregung.«
»Wir haben nicht viel Zeit, Celestine. Ich würde Ihre Lösung sehr gerne hören.«
Sie betrachtete die Symbole und lächelte schwach. »Das kann ich mir denken. Aber ich möchte hören, was mit dem Klon passierte.«
Ich spürte, wie ihn der Jähzorn packte, aber er beherrschte sich. »Er – mein neues Ich – kehrte in den Turm zurück und versuchte, weiter vorzudringen als sein Vorgänger. Das gelang ihm auch. Er konnte den Punkt, an dem das alte Ich gestorben war, um mehrere Räume überschreiten.«
»Wieso ging er überhaupt hinein?«, fragte Celestine. »Er musste doch gewusst haben, dass er ebenfalls sterben würde.«
»Er glaubte, eine deutlich bessere Überlebenschance zu haben als der letzte. Er studierte, was mit dem ersten Opfer geschehen war, und traf entsprechende Vorkehrungen – bessere Panzerung, Drogen zur Steigerung des mathematischen Verständnisses, primitive Vorläufer der Nanotherapien, die wir anwenden.«
»Und?«, fragte ich. »Was passierte, nachdem auch er gestorben war?«
»Er starb nicht beim ersten Versuch. Wie wir ging er zurück, wenn er erkannte, dass er wohl nicht weiterkommen würde. Dann trawlte er sich selbst – fertigte eine Kopie seiner Erinnerungen an. Und vererbte sie dem nächsten Klon.«
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte ich. »Wieso sollte es den Klon kümmern, was mit seinem Nachfolger passierte?«
»Weil er … nicht mit seinem Tod rechnete. Keiner rechnete damit. Ein Charakterzug, wenn du so willst.«
»Maßlose Arroganz?«, fragte Celestine.
»Ich würde lieber von einem massiven Mangel an Selbstzweifeln sprechen. Jeder Klon hielt sich für besser als sein Vorgänger und war überzeugt, niemals die gleichen Fehler zu begehen. Dennoch wollte jeder den Trawl, damit – für den unwahrscheinlichen Fall, dass er doch getötet würde – etwas von ihm fortbestünde. Auch wenn also dieser Klon das Rätsel des Blutturms nicht löste, sollte es doch jemandem mit meinem genetischen Erbe gelingen. Einem Ast vom selben Stamm. Einem Mitglied der Familie, wenn man so will.« Er peitschte ungeduldig mit dem Schwanz. »Noch vier Minuten. Celestine … sind Sie bereit?«
»Fast, aber noch nicht ganz. Wie viele Klone gab es, Childe? Vor Ihnen, meine ich?«
»Das ist eine sehr persönliche Frage.«
Sie zuckte die Achseln. »Schön. Dann werden Sie auch meine Lösung nicht erfahren.«
»Siebzehn«, sagte Childe. »Das Original, den ersten Childe, der den Turm betrat, nicht mitgerechnet.«
Als ich die Zahl hörte, war ich wie vor den Kopf geschlagen. »Dann bist du … der neunzehnte, der versucht, das Rätsel zu lösen?«
Wäre es anatomisch möglich gewesen, ich glaube, er hätte gelächelt. »Wie gesagt. Ich möchte, dass es in der Familie bleibt.«
»Sie sind ein Monster geworden«, hauchte Celestine.
Man konnte es schwerlich anders sehen. Er hatte die Erinnerungen von achtzehn Vorgängern
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