Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
Lösung und verharrte. Dann huschte er weiter und landete auf dem richtigen Zeichen – aber nur für einen Moment.
Childe wedelte mit dem Schwanz. »Ich glaube, ich habe es.«
»Gut«, antwortete Celestine. »Ich bin einverstanden. Richard? Bist du bereit, dich anzuschließen?«
Ich dachte, ich hätte mich verhört, aber dem war nicht so. Sie hielt tatsächlich Childes Lösung für die richtige; und die meine, von der ich so überzeugt gewesen war, für falsch …
»Ich dachte …«, begann ich und starrte noch einmal verzweifelt auf die Symbole. Hatte ich etwas übersehen? Childe hatte offenbar Zweifel gehabt, aber Celestine war vollkommen sicher. Und doch hatte ich die Antwort glasklar erkannt. »Ich weiß nicht«, protestierte ich schwach. »Ich weiß nicht.«
»Wir können nicht mehr lange diskutieren. Uns bleibt nur noch knapp eine Minute.«
Mein Magen war ein Eisklumpen. Man hatte mir so viele menschliche Schichten entfernt, aber was Todesangst war, wusste ich immer noch. Sie hatte mich in den Krallen und ließ nicht mehr los.
Ich war mir meiner Sache so sicher. Und doch war ich in der Minderheit.
»Richard?«, drängte Childe. Es klang ungeduldig.
Ich sah die beiden hilflos an. »Nun drück schon«, sagte ich.
Childe legte seine Vorderpfote auf das Zeichen, das er und Celestine für das richtige hielten, und drückte.
Ich wusste wohl schon, bevor der Turm reagierte, dass wir die falsche Wahl getroffen hatten. Doch als ich Celestine ansah, entdeckte ich keine Angst, keine Überraschung in ihrem Gesicht. Sie wirkte vollkommen ruhig und gefasst.
Und dann begann die Strafaktion.
Sie war brutal, und früher hätten wir sie nicht überlebt. Auch jetzt waren die Schäden beträchtlich, obwohl uns Trintignant so massiv aufgerüstet hatte. Ein Pendel mit drei Gelenken und sichelförmiger Spitze senkte sich von der Decke herab und begann in immer weiteren Bögen zu schwingen. Bei einem einfachen Pendel hätten wir vielleicht berechnen können, wo es sich im nächsten Moment befinden würde, um uns dann außer Reichweite zu bringen. Aber die Bahn eines Gelenkpendels vorherzusagen war unglaublich schwierig. Wir sahen Chaosmathematik in Aktion: ein Albtraum.
Aber wir überlebten, wie wir auch die vorhergehenden Angriffe überlebt hatten. Sogar Celestine kam durch. Die blitzende Sichel schnitt ihr nur einen Arm ab. Ich verlor auf einer Seite einen Arm und ein Bein und musste – schwankend zwischen Entsetzen und Faszination – zusehen, wie sich der Raum dieser Teile bemächtigte: Fangarme schossen aus den Wänden und schnappten sich die Gebilde aus Metall und Plastik. Trintignant hatte die Gliedmaßen mit dem Nervensystem verbunden, damit wir Hitze und Kälte empfinden konnten, und so spürte ich auch einen gewissen Schmerz, der aber rasch von digitaler Betäubung verdrängt wurde.
Childe hatte es am schlimmsten erwischt.
Die Klinge hatte ihn gleich unterhalb seines früheren Brustkorbs entzweigeschnitten. Stahl- und Plastikteile, Knochen, Gedärme, Blut und giftige Schmiermittel ergossen sich über den Boden. Die Fangarme schlängelten sich auf ihn zu und erbeuteten sein zuckendes Hinterteil mitsamt dem peitschenden Schwanz.
Celestine drückte mit der Hand, die ihr noch geblieben war, auf das richtige Symbol. Die Strafaktion wurde abgebrochen, die Tür ging auf.
Im Vergleich zu vorher war es still geworden. Childe sah auf seinen halben Rumpf nieder.
»Ich bin wohl ziemlich schwer beschädigt«, sagte er.
Doch schon schlossen sich verschiedene Ventile mit leisem Klicken und unterbanden den Flüssigkeitsverlust. Trintignant hatte ausgezeichnete Arbeit geleistet. Childe war so ausgestattet, dass er auch schwerste Verletzungen überleben konnte.
»Sie werden nicht sterben«, sagte Celestine. Ihr Mitgefühl hielt sich in Grenzen.
»Was ist passiert?«, fragte ich. »Warum hast du dieses Symbol nicht gleich gedrückt?«
Sie sah mich an. »Weil ich wusste, was ich zu tun hatte.«
Obwohl sie selber verletzt war, half sie uns, den Ausgang zu erreichen.
Ich konnte aus eigener Kraft von einem Raum zum anderen stolpern, indem ich mich an der Wand abstützte und auf einem Bein hüpfte. Der Blutverlust war nicht allzu groß. Zwar hatte mir das Pendel ein oder zwei Schrammen verpasst, aber die Gliedmaßen waren unterhalb der Stellen abgetrennt worden, wo sie mit Fleisch und Knochen verbunden waren. Aber ich stand unter Schock und zitterte unkontrolliert, und ich wollte nur noch aus diesem Turm hinaus und
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