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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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welchem Grund auch immer – in den interstellaren Raum aufgebrochen und dort den Musterschiebern begegnet waren. Aber ebenso hätte man Ähnlichkeiten zwischen dem Bewusstsein von Haien und Leoparden postulieren können, weil die Evolution beide Arten zu Jägern gemacht hatte. Die Unterschiede zwischen den Bewusstseinen waren so kosmisch, dass Naqis Denkprozesse Mühe hatten, sie zu erfassen.
    Doch allmählich fiel es ihr leichter. Kaum merklich – so langsam, dass sie nicht merkte, wie es geschah – bauten die Organismen die Neuralverbindungen in ihrem Gehirn um, sodass immer mehr von ihrem Bewusstsein in die riesige Datenverarbeitungsanlage des Meeres einströmen konnte.
    Nun spürte sie auch die jüngsten Neuzugänge.
    Es waren ausschließlich menschliche Bewusstseine, lauter funkelnde Edelsteine, keiner wie der andere. Naqi sichtete eine große Zeitlücke zwischen dem ersten menschlichen und dem letzten erkennbar fremden Bewusstsein. Die Lücke mochte eine Million oder auch eine Milliarde Jahre betragen, jedenfalls fühlte sie sich gewaltig an. Zugleich erkannte sie, dass der Ozean verzweifelt auf diese neue Spielart gewartet hatte. Er hatte die menschlichen Bewusstseine freudig aufgenommen, aber sie waren nicht exotisch genug und konnten ihn nur für kurze Zeit beschäftigen.
    Die Bewusstseine waren Schnappschüsse, aufgenommen bei der Fassung eines einzigen Gedankens. Ein Orchester, bei dem alle Instrumente nur eine einzige, einmalige Note spielten. Vielleicht fand in den Bewusstseinen eine quälend langsame Entwicklung statt – Naqi spürte ganz leise unterschwellige Spuren von Veränderung –, aber wenn dem so war, würde es Jahrhunderte dauern, bis ein Gedanke … Jahrtausende, bis eine einfache subjektive Aussage vollendet wäre. Die jüngsten Bewusstseine hatten womöglich noch nicht einmal erkannt, dass das Meer sie verschlungen hatte.
    Dann entdeckte Naqi ein Bewusstsein, das alle anderen übertönte.
    Es war noch nicht lange hier, es war menschlich, und sie empfand es irgendwie als Misston. Es hatte Schäden, als wäre es nur unvollständig eingefangen und dabei verunstaltet worden. Es hatte entsetzlich gelitten und sendete Schmerzwellen aus. Jetzt suchte es nach ihr, denn es gierte nach Liebe, nach Zuneigung; nach irgendeinem Halt in der abgrundtiefen Einsamkeit, die es erlebte.
    Bilder geisterten durch Naqis Bewusstsein. Ein Brand. Flammen leckten durch die Spalten und Ritzen eines großen schwarzen Gebildes. Ein Bauwerk vielleicht oder ein Scheiterhaufen so groß wie eine Pyramide.
    Sie hörte Schreie, dann hysterisches Kreischen, das sie zunächst ebenfalls für Geschrei hielt, bis sie erkannte, dass es etwas viel, viel Schlimmeres war, nämlich Gelächter. Und es steigerte sich immer mehr, je höher die Flammen schlugen, je weiter sie das schwarze Gebilde verzehrten und die Schreie erstickten.
    Es könnte das Lachen eines Kindes sein, dachte sie.
    Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber dieses Bewusstsein wirkte nicht so erstarrt wie die anderen. Auch seine Denkprozesse waren langsam – viel langsamer als ihre eigenen –, aber es hatte offenbar mehr als den ihm zustehenden Anteil an Verarbeitungszyklen an sich gerissen. Es stahl seinen Nachbarn Rechenkapazitäten und verurteilte sie zu völliger Stasis, um selbst einen einzigen trägen Gedanken zu Ende führen zu können.
    Naqi war beunruhigt. Dieses Bewusstsein sonderte Ströme von Schmerz und Wut ab.
    Auch Mina hatte es gesichtet. Naqi nahm eine Probe ihrer Gedanken. Ihre Schwester fand dieses Bewusstsein nicht weniger beängstigend. Dann spürte sie, wie es sich den beiden wissbegierigen Individuen zuwandte, die soeben in das Meer gekommen waren, wie es sie wahrnahm und unauffällig beobachtete. Wenige Augenblicke später glitt es davon, kehrte dahin zurück, wo es hergekommen war.
    Was war das …?
    Sie spürte die Antwort ihrer Schwester. Ich weiß es nicht. Ein menschliches Bewusstsein. Ein Konformaler, nehme ich an. Jemand, der vom Ozean verschlangen wurde. Aber jetzt ist es fort.
    Nein. Es ist noch da. Es versteckt sich nur.
    In dieses Meer sind Millionen von Bewusstseinen eingegangen, Naqi. Darunter vielleicht Tausende von Konformalen, wenn du an all die Aliens denkst, die vor uns kamen. Da ist zwangsläufig der eine oder andere faule Apfel darunter.
    Das war mehr als nur ein fauler Apfel. Es fühlte sich an wie Eis. Und es hat uns gewittert. Es hat auf uns reagiert. Meinst du nicht auch?
    Naqi spürte, wie Mina zögerte.
    Das

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