Rheinsteigmord - Kriminalroman
›D. Hecht‹, ohne Straßenangabe«, sagte die Frauenstimme und fragte, ob Fred verbunden werden wollte. Er bat darum, die Nummer ansagen zu lassen, und wartete. Dann drückte er den roten Knopf und starrte ins Leere.
Er brauchte gar nicht in seine Notizen zu sehen.
Daniela Hechts Telefonnummer war die Nummer aus Koblenz.
Die Nummer aus Friesdorfs Telefon.
Er rief sie noch einmal an und lauschte der Stimme auf dem AB ein weiteres Mal. »Ich bin leider nicht zu Hause. Nachricht bitte nach dem Piep.«
Und dann holte er sich die Erinnerung zurück. Den Moment, als sie ihn da oben angesprochen hatte.
Warten Sie auf mich?
Sie war es gewesen. Kein Zweifel.
Was hatte sie mit Friesdorf zu tun?
* * *
Chandlers Scheinwerfer beleuchteten eine schmale Asphaltstraße, die langsam auf Fred zuzuwandern schien. Sie führte durch eine enge Unterführung, dann erstreckte sich auf der rechten Seite ein großes dunkles Feld. Links erhob sich ein schwarzer Block gegen den Nachthimmel. Das mussten die Ausläufer des Industriegebietes sein, die Fred auf dem Plan gesehen hatte.
Die Straße endete an einem kleinen Parkplatz, hinter dem sich wie dunkle Wächter hohe Bäume aneinanderreihten. Ein Pfad entfernte sich parallel zum Rhein über eine Wiese. Wo er begann, stand eine Bank mit einem undefinierbaren Haufen davor. Daneben ein Papierkorb. Der Haufen entpuppte sich als erloschene Feuerstelle. Chandlers Scheinwerfer ließen weiter hinten, wo sich in einer Senke tiefste Schwärze ausbreitete, Wasser aufblitzen. Dort floss der Rhein. Fred hielt an und schaltete das Licht aus.
Erst als er ausgestiegen war und sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, nahm er einzelne Details der Landschaft um ihn herum wahr. Der Fluss lag unterhalb des Parkplatzes. Zu Füßen eines kleinen Abhangs breitete sich etwas Helles, Schimmerndes aus. Eine Kiesbank. Oberhalb des gegenüberliegenden Ufers, jenseits der dunklen Fläche des Rheinwassers, zeichnete sich weit hinten eine Burg vor dem Nachthimmel ab, umgeben von ein paar einsamen Lichtpunkten.
Ein lang gezogenes Rauschen näherte sich von irgendwoher. Fred drehte sich um. Die Scheinwerfer einer Lokomotive schossen durch die Ebene vor den Rheinbrohler Häusern und zogen etwas Langes, Dunkles hinter sich her. Ein Güterzug. Die Unterführung, durch die Fred gekommen war, ging unter der Bahnlinie hindurch.
Es war kühl. Fred fröstelte. Er stieg wieder in den Bulli, schaltete die Innenbeleuchtung ein und holte seine Vorräte heraus. Er hatte nicht an Besteck und Geschirr gedacht. Sein Appetit hielt sich ohnehin in Grenzen. Er holte eine Scheibe Brot aus der Packung und legte einfach eine Scheibe Käse darauf. Sein Blick fiel auf die Whiskyflasche. Gläser hatte er auch keine. Nachdem er die improvisierte Stulle verspeist hatte, klemmte er sich mit der Flasche hinter die Olympia und nahm einen Schluck.
Er starrte auf das Blatt mit den durchgeixten Zeilen und dem neuen Anfang. Etwas machte ihn beklommen.
Die dunkle Frontscheibe vor ihm. Die Nacht, die davor stand. Er fühlte sich beobachtet.
Isabel hatte kleine Gardinen vor den seitlichen Fenstern angebracht, die mit Schlaufen zusammengehalten wurden. Blaues Blümchenmuster. Seine Schaffensfreude, die ohnehin nur ein zartes Pflänzchen gewesen war, erstarb gänzlich. Und wie lange würde eigentlich Chandlers Batterie durchhalten, wenn er die Innenbeleuchtung brennen ließ?
Er nahm sein Notizbuch und schrieb auf, was er am nächsten Tag einkaufen musste.
Plastikbesteck.
Pappteller und Plastikbecher.
Eine batteriebetriebene Lampe.
Notfalls eine Taschenlampe, die er vielleicht irgendwo anbringen konnte.
Er öffnete den Internetbrowser des Handys, löschte das Licht, zog im Dunkeln die Schuhe aus und legte sich auf die Matratze. Die Tasten des Smartphones waren gut im Dunkeln zu bedienen. Die Whiskyflasche stellte er neben sich.
Fred suchte nach Informationen über das Ehrenmal. Er las auf dem kleinen Display, dass es 1933 eingeweiht worden war – zu Ehren des 29er Regiments aus dem Ersten Weltkrieg. Das hatte Haustein schon erzählt. Heute war das Häuschen ein Mahnmal gegen den Krieg. Trotzdem kam Fred die Sorgfalt, mit der man sich dieses Denkmals offenbar annahm, selbst ziemlich militärisch vor. In einer Festschrift, die Fred nach längerer Wartezeit heruntergeladen hatte, überboten sich verschiedene Politiker in ihren Grußworten gegenseitig darin, das Mahnmal als Symbol für ein friedliches Miteinander zu sehen, es als
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