Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
und ein paar Hundert Zuordnungen. Ohne ein ausgeprägtes Gedächtnis war hier nichts zu holen. Und daß Oborin genau über ein solches verfügt hatte, davon war Lukastik überzeugt. Deshalb ja die kleinen Autos, um abseits von Zahlen- und Buchstabencodes eine intime Übersicht zu wahren.
Die Leute von der Spurensicherung, dazu die Mitarbeiter aus Lukastiks Team, vielleicht auch – wenn die Sache sich ausweitete – Beamte eines Nachrichtendienstes, sie alle würden unweigerlich eine Unordnung in dieses graphologische Archiv bringen. Dazu hatte Lukastik weder Zeit noch Lust. Einen kurzen, sehr persönlich motivierten Einblick aber wollte er dennoch wagen. Weshalb er nun nichts anderes tat, als endlich das Gespräch mit dem Major zu beenden und in den verglasten, rückseitig verspiegelten Kästen das Modell eines Ford Mustangs aufzustöbern, überzeugt, daß unter einer solchen Anzahl maßstabgetreuer Nachbauten sich auch der amerikanischste aller Sportwagen befinden würde.
Tatsächlich entdeckte er nach einigen Minuten ein solches Exemplar. Natürlich war es kein 87er LX Hatchback und natürlich war er nicht mattgold. Dennoch zog Lukastik den Stapel heraus, aus dem seitlich verschiedenfarbige Papierstreifen herausstanden. Das Abdeckblatt war unbeschriftet und vergilbt. Bei den Dokumenten handelte es sich um handschriftlich ausgefüllte Formulare, die alle einen Antrag auf Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft beinhalteten. Auch diese Schriftstücke waren ergänzt um Vermerke, die von Oborin stammten mußten. Die Anträge lagen zwanzig und mehr Jahre zurück, doch eine chronologische Ordnung war nicht zu erkennen. Überhaupt konnte Lukastik nicht sagen, nach welchen Kriterien sie gereiht waren und welche Unterteilung sich aus den einzelnen Streifen ergab. Jedenfalls änderte Lukastik nichts an der vorgegebenen Folge und legte den ganzen Packen zurück an seinen angestammten Platz. Den kleinen Ford Mustang setzte er oben auf und schloß den Schrank. Sodann verließ er den Keller und verließ das Haus.
Auf dem schmalen, betonierten Weg, der zur Straße führte, kam ihm der Leiter der Zwettler Polizei entgegen, jener Oberleutnant Prunner, der deutlich darum bemüht war, Haltung zu bewahren angesichts einer weiteren zu erwartenden Anmaßung seines Wiener Kollegen.
»Ihr Haus«, sagte Lukastik, wie man sagt: Ihr Zeuge. Dabei schwenkte er seinen Arm in gönnerhafter Weise hinter sich.
»Auf ein Wort, Herr Chefinspektor«, bat Prunner und produzierte eine kleine Geste, die etwas von einem ausgefahrenen Stopschild besaß, aber eben bloß die Ankündigung zu einem solchen Schild darstellte.
»Ich bin in Eile«, erklärte Lukastik.
»Ich will Sie auch gar nicht aufhalten. Ich will wissen, wonach wir zu suchen haben.«
Offenkundig war der Major bei aller diplomatischen Höflichkeit gegenüber Prunner nicht so weit gegangen, über Details zu sprechen. Obskure Details, die der Major so lange als möglich zurückhalten wollte. Oder sich einfach nur genierte.
Auch Lukastik hätte jetzt durchaus auf seinem Schweigen bestehen können. Aber etwas reizte ihn, reizte ihn ganz schrecklich. Vielleicht Prunners uniformierter Körper. Vielleicht die ungute Hitze. Er antwortete: »Nach Spuren eines Haifisches.«
Prunner verzog keine Miene. Was nichts daran änderte, daß er es unendlich satt hatte, sich mit einem Menschen wie Lukastik abgeben zu müssen, jemanden, der nicht die geringste Loyalität besaß, der den Umstand eines höheren Dienstgrades mit Leichtigkeit überging und ein jedes aufzuklärende Verbrechen als eine persönliche Angelegenheit zu betrachten schien. Prunner war Beamter, er war korrekt, beileibe kein Idiot, aber weit davon entfernt, sich selbst für herausragend zu halten. Leute wie Lukastik waren ihm zuwider. Nichtsdestotrotz machte Prunner nun ein freundliches Gesicht und sagte: »Einen Haifisch also.«
»Unsere Leute von der Spurensicherung werden bald hier sein«, verkündete Lukastik. »Die kommen mit dem Hubschrauber. Das zeigt, wie wichtig uns die Sache ist. Sehen Sie also bitte zu, daß Ihre … Mitarbeiter … keine relevanten Veränderungen im Haus vornehmen.«
»Keine Angst, meine Mitarbeiter sind nicht die Bauerntölpel, für die Sie sie halten.«
Dann trat Prunner nahe an Lukastik heran, sicher sehr viel näher, als ihm lieb war, und sagte: »Es gibt Grenzen.«
»Ich weiß. Und an die halte ich mich auch. – So, ich muß jetzt. Es wäre mir sehr recht, wenn mich einer Ihrer
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