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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Sicherheitsgründen, daß Marlies Herstal eine Art von Freundschaft mit Olander zu pflegen schien. Denn ab dem heutigen Tag mußte Vinzent Olander als möglicher Mörder von Andrea Pero gelten. Darüber hätte man Frau Herstal eigentlich informieren müssen, ihr sagen müssen, daß sie eventuell mit einem Frauenmörder zusammensaß. Jedenfalls mit jemand, mit dem man nicht etwa in ein U-Boot steigen sollte.
    Aber das konnte Lukastik hier und jetzt nicht verkünden, ohne seine Souveränität einzubüßen. Oder gar den Eindruck zu vermitteln, Olander um seine spürbare Wirkung auf Frau Herstal zu beneiden. Nur das nicht! Also stand er einfach auf und erklärte, noch zu tun zu haben. Er sah Olander an und sprach: »Sie denken daran, was ich Ihnen gesagt habe.«
    »Sie werden mich nicht los, keine Angst«, erwiderte Olander.
    »Und Sie, Frau Herstal?« erkundigte sich Lukastik.
    »Was denn?« fragte Herstal in diesem herausfordernden Fick-dich-doch-selbst-Ton.
    »Passen Sie einfach auf sich auf«, sagte der Kriminalist, nickte dem Wirt zu und verließ das Lokal.
    Doch natürlich war es so, daß Lukastik sich nicht darauf verlassen wollte, daß Marlies Herstal auf sich selbst achtgab. Er wies einen Mitarbeiter, der draußen im Wagen wartete, an, Vinzent Olander im Auge zu behalten. Und er versprach, einen zweiten Mann zu schicken. Dann marschierte er zu Fuß zum Hotel Mariaschwarz zurück.
    Die Wolken waren jetzt gelb wie in einer Hexenküche. Vom See her fiel ein Nebel auf die Ortschaft. Man sah ihn zügig näher rücken, in Form einer kompakten, abgegrenzten Masse, als einen großen Ballen von weißem Rauch.
    »Ich hasse diesen Ort«, dachte Lukastik. Aber wann dachte er das nicht?
    Es gab ein Gefühl, welches Lukastik als das allerlogischste erschien: Ekel vor der Welt.

10
    Das Flugzeug hatte Verspätung. Lukastik saß auf einer Bank des Warteraums, eingezwängt zwischen Geschäftsleuten, die auf ihren Laptops herumspielten. Es sah aus, als würden all diese eifrigen Männer und Frauen Kochplatten auf ihren Schenkeln balancieren und Eierspeisen zubereiten. Eierspeisen, die um die Welt gingen.
    Im vorliegenden Fall aber ging es nicht gleich um die ganze Welt, sondern bloß nach Mailand. Beziehungsweise ging es vorerst nirgends hin, da wohl eine Bombendrohung irgendeinen europäischen Großflughafen lahmgelegt und das System ständig startender und landender Flugzeuge durcheinandergebracht hatte.
    Lukastik hatte keinen Laptop. Auch telefonierte er nicht. Obgleich er natürlich seinen Termin mit Longhi nicht einhalten konnte. Aber das würden die Italiener schon bemerken, wenn der Flieger nicht rechtzeitig ankam. Lukastik benutzte selten ein Handy oder Telefon. Weil jeder Anruf, den man tätigte, Anlaß für ein Mißverständnis bot. Viele Dinge erledigten sich eher, wenn sie nicht besprochen wurden.
    Auch Lukastik war ein Anzugträger, aber ein richtiger Anzugträger. Eben keiner von diesen Busineßmenschen hier, die vom vielen Anzugtragen vollkommen vergiftet und verstrahlt schienen. Lukastiks Anzüge waren älter, antiquarisch, ausgegiftet, maßgeschneidert, aber eben nicht für ihn maßgeschneidert, sondern für andere Leute, die bereits tot waren.
    Den Anzug, den Lukastik im Moment trug, hatte er von seinem Großvater geerbt. Freilich waren einige Änderungen vorgenommen worden. Jetzt paßte er perfekt. Er zwickte nicht, machte sich nicht selbständig, war ein guter Freund. Sommerleinen, dunkelocker mit einem grünlichen Stich, als betrachte man Moos durch lehmiges Wasser.
    Auch Lukastik hatte seine beiden Oberschenkel belastet. Auf dem linken Bein die ersten sechsunddreißig Seiten eines Buches, auf dem rechten die verbleibenden siebenhundertirgendwas… Dicke Bücher waren ihm ein Greuel. Dieses hier aber hatte ihn interessiert, als er durch den Flughafenkiosk geschlendert war. Was sich als ein Fehler herausgestellt hatte, es zu kaufen. Der linke Schenkel mit seinen sechsunddreißig Seiten spürte sich um soviel besser an als das ungleich stärker beladene Gegenüber. Natürlich, Oberschenkel waren keine Intellektuellen, die für das Abenteuer des Geistes das Gewicht Hunderter Seiten von Papier gerne in Kauf nahmen. Aber wenn dieses Abenteuer des Geistes ohne großen Reiz blieb, dann wurde auch der ganze Leser zum wehleidigen Oberschenkel.
    Lukastik tat nun folgendes: Er übte Gerechtigkeit, indem er nämlich die nächsten dreihundert Seiten überblätterte und in etwa ein Gleichgewicht herstellte, beide Schenkel

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