Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
nicht auf die frisch gewaschene, frühlingsduftende Bluse kleckst, hat etwas Gemeinschaftliches. Menschen, die sich sonst nicht verstehen, zum Beispiel Nachbarn, weil die Katze einem immer vor die Haustüre scheißt, nicken sich freundlich zu. Kinder, die sich sonst mit Blechschäufelchen gegenseitig auf die Köpfe hauen, nuckeln gemeinsam an einer Null-Kalorien-Cola – mit zwei Röhrchen. Der Pitbull teilt sich freundschaftlich mit dem Chihuahua Wurstreste, die auf dem Boden landen. Feinde werden zu Freunden. Schwerter werden zu Pflugscharen. V8-Motoren werden zu Hybridmotoren. Messer werden zu Löffeln.
Wie Butter ging die Klinge des Messers durch das straff sitzende Seil. Tobi rührte sich nicht. Immer noch lag er in seitlicher Embryonalstellung mit lilafarbenem Gesicht im hohen Gras. Und ich wunderte mich wieder über mein Gehirn. In Stresssituationen tat es, was es wollte: Die Gedanken sind frei.
»Umdrehen, reanimieren, ich spüre keinen Puls«, rief Cäci.
Wir drehten Tobi auf den Rücken, ich drückte ihm kräftig mit rhythmischen Schlägen auf die Brust. Cäci pustete einen kräftigen Stoß ihrer wertvollen Atemluft durch Tobis Nase in seine Lunge. Fast augenblicklich kam ein röhrendes Geräusch aus seinem Mund, er krümmte sich schlagartig zusammen, sodass Knie und Kopf beinahe zusammenstießen, und fing an fürchterlich zu husten. Sofort wich die dunkle Farbe aus seinem Gesicht. Aus entsetzten Augen schaute er uns groß an und würgte:
»Scheiße! Jetzt wäre ich beinahe tot gewesen.«
Er würgte noch einmal, spuckte kräftig aus und fuhr sich um die rote, wunde Stelle am Hals. Er schaute verunsichert nach oben und bemerkte staunend:
»Wahnsinn, der Ast hat nicht gehalten, das gibts doch nicht!«
»Gott sei Dank«, meinte Cäci, die erschöpft neben Tobi im Gras saß.
»Du Depp, Mensch, Tobi, was soll denn der Scheiß? Komm, wir müssen zum Arzt.«
Entsetzt schaute er zuerst zu mir, dann zu Cäci und flehte stammelnd und hustend:
»Nein, nicht zum Arzt, bitte, das darf niemand erfahren, bitte!«
Ich blickte in Cäcis Augen, sie nickte nachdenklich.
»Okay, von uns kein Wort. Wir bringen dich nach Hause, aber ich will, dass du dich untersuchen lässt.«
»Nein, bitte nicht nach Hause, mein Hals ist bestimmt ganz wund. Mein Vater bringt mich um.«
»Na, dann hast du doch, was du wolltest … ohne großen Aufwand.«
Cäci blickte mich fragend an:
»Butzis Schwester, die ist Notärztin in Saulgau. Vielleicht kann die Tobi untersuchen, ohne dass jemand etwas davon erfährt?«
Ich griff zu meinem monströsen Handy, die kleine Stummelantenne nahm Kontakt zum Himmel auf und verhandelte ganz kurz mit Butzi. Drei Minuten später rief uns Butzis Schwester, Frau Dr. Böckle an, wir könnten im Krankenhaus Saulgau vorbeikommen, sie könne uns zwischenreinnehmen.
Schwarz-weiß hingen die Röntgenbilder von Tobis Wirbelsäule an der Leuchttafel.
Frau Dr. Böckle, in klassischem Götterweiß, zeigte mit einem roten SPD-Werbe-Kugelschreiber auf eines der unscharfen Röntgenbilder:
»Hier von C1, Atlas bis C7, Vertebra prominens Obe …«
»Wie bitte?«
»Im Halswirbelsäulenbereich, alles okay. Glück gehabt, junger Mann. Und weiter nach unten, von Th1 bis Os sacrum, inklusive Coccyx, dem Stummelchen hier …«, sie klapperte mit dem schönen Kugelschreiber an etwas hellem Wurmartigen am unteren Ende des Bildes herum, »ebenfalls alles okay, keine Steißbein-Luxation. Wirklich Glück gehabt. Gratulation, junger Mann!«
»Ääääh, wie bitte?« Fragend blickte Tobi zur engagierten Göttin in Weiß.
»Du hast dir deinen Arsch nicht gebrochen, alles im grünen Bereich mit dem Scheich! Dir fehlt gar nichts, nur Abschürfungen am Hals.«
»Aha«, nickte ich wissend, »Os sacrum, heiliger Knochen … heilige Scheiße, hast du Glück gehabt, Tobi.«
Tobi umarmte mich und flüsterte mit kehliger Stimme:
»Danke.«
Er schaute mich fragend an, deutete zu Cäci:
»Darf ich bei ihr auch?«
Ich nickte.
Tobi umarmte Cäci und murmelte:
»Danke.«
»Danke«, sagte er auch in Richtung Frau Doktor und streckte ihr seine Hand entgegen.
Diese gab ihm jedoch einen kräftigen Klaps auf den Hintern und meinte trocken:
»So einen feschen Hintern lässt man doch nicht baumeln.«
Die Ärztin flüsterte Cäci zu:
»Kümmert euch um den! Der braucht jetzt vor allem Nähe und Ablenkung. Aber das brauche ich dir ja nicht zu erzählen, du bist ja vom Fach.«
Und schon war sie
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