Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
der riedwassergetränkte Müller:
»Racko, wo ist mein Racko? Herrgottsakrament, Racko. Da! Platz!«
Wieder herrschte mondromantische Feuchtgebietruhe.
Die Stille wurde nach wenigen Sekunden von gemurmelten, immer lauter geäußerten Spekulationen abgelöst. Dann rief jemand:
»Der Hund, da kommt er. Oh, mein Gott, was ist auch das?«
Ein Mädchen gellte hysterisch in die Nacht:
»Neeiiin, er hat das Riedweible erlegt!«
Und tatsächlich, Racko zerrte rückwärts gehend hinter sich den schlaffen, leblosen Leib des Riedweibleins her. Das Haar war blutverschmiert.
Der Hund hatte es sich nicht nehmen lassen, nachdem er das Böse erfolgreich vertrieben hatte, vom Tümpel, der Stätte seines Sieges, eine Trophäe mitzunehmen, um seinem Herrchen zu zeigen, dass er ein braver Hundi-Wau war. Immer, wenn er etwas ganz toll gemacht hatte, wurde er vom Herrchen gelobt, wobei dieser ihn freundlich anschaute und immer die gleichen Lobesworte sagte: Ja, so ists brav, das hat der Hundi-Wau brav gemacht!
Eigentlich wollte Racko nur den Stecken mitnehmen, darin verhedderte sich aber das weiße Gewand, das er dem Bösen heruntergezogen hatte. Als er dann den großen Stecken mit Kraft über den Boden zog, verfing sich das blutige Haar des anderen Bösen in der Spitze des Steckens. Und so zog Racko los.
»Mein Gott«, stammelte Müller, »der hat die regelrecht skalpiert! Schaut euch das an, die ganze Kopfhaut ist abgerissen!« und musste sich übergeben.
Racko hatte brav Platz gemacht und wartete vergeblich auf ein Lob. Die Reporter fotografierten Racko und seine außergewöhnlichen Mitbringsel: Ein stattlicher Stecken, ein zerrissenes weißes Gewand und eine blutige Perücke. Die Undercover-Polizisten hingen schon an ihren Handys und forderten die hyperaktiven Journalisten und die geschockten Tümpelsäumigen dazu auf, sich in den Goldenen Ochsen zu begeben.
Dort kamen die Neuigkeiten schnell und präzise an:
»Ein riesiger Schäferhund hat das Riedweible zerfetzt. Sogar skalpiert.«
Butzi rannte, wie er noch nie in seinem Leben gerannt war. Je weiter er ins Ried hinein stolperte, umso näher brach der Hund hinter ihm sich seinen Weg. Er hörte ihn japsen. Butzi gab nicht auf, noch einmal aktivierte er seine letzten Kräfte, wich einer Pfütze aus und dann sah er in der Dunkelheit den zerfallenen Schuppen. Mit letzter Kraft erreichte er die schiefe Holztüre. Wasser spritzte um seine Beine und gerade als er die rettende Türe aufdrücken wollte, verkrallte sich der Hund in seine rechte Schulter.
Entsetzt drehte er sich, instinktiv seinen linken Arm schützend vor seine Kehle haltend, um …
und schaute in das atemlose Gesicht Flaschen-Gordons, der sich krampfhaft an seiner Schulter festhielt. Dieser gab nur noch japsende Geräusche von sich. Dann ließen sich beide ins weiche, nasse Gras fallen. Es dauerte Minuten, bis sie wieder reden konnten.
»Das war knapp! Wo hat er dich erwischt?«
»Gratulation, schau mal meine Hand an!«
»Alles halb so schlimm. Das kann man mit zwei, drei Stichen nähen.«
»Ja, am besten gleich, die Williams-Narkose wirkt noch! Komm, lass uns hinten durchs Ried rausgehen, die lynchen uns sonst.«
»Was musst du auch immer so saufen?«
»Wer säuft hier? Du hast den Schladerer entdeckt.«
»Du hast ihn aber aufgemacht und gesagt, dass den Frieda bestimmt schon für unser Fest hergerichtet hat. Für unser Fest – einen Schladerer, du spinnst ja wohl!«
»Es war deine besoffene Idee, die Klamotten anzuziehen.«
»Leck mich am Arsch, ich will jetzt nichts mehr davon hören.«
»Ich will ins Bett, ich habe Kopfweh.«
»Kein Wunder.«
»Was soll das heißen?«
»Schnapsdrossel!«
»Depp!«
»Trottel!«
»Arschdepp!«
»Haha Arschdepp, das gibts nicht.«
»Doch, dich!«
37 Stimmenflüsterer
Die Psalmen
69:4 Ich bin müde vom Rufen, meine Kehle ist heiser, mir versagen die Augen, während ich warte auf meinen Gott.
Hilde spürte den warmen Kuss ihrer Mutter und sie hörte das Lied, das sie ihr vorsang:
Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.
Sie spürte, wie die Mutter ihr ganz sanft auf die Schultern klopfte und ihr zuflüsterte:
»Aufwachen Hilde, es ist wichtig.«
»Ich möchte aber ganz lange schlafen«, nuschelte Hilde kaum wahrnehmbar.
»Wach auf! Es ist wichtig.«
Der Druck auf ihre Schulter wurde stärker.
Als sie wach war und ihre brennenden Augen das gewohnte Elend sahen, bereute sie, ihrer Mutter gehorcht zu haben. Sie spürte ihre
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