Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
und ich es gekauft hatte – woher hätte ich das Geld haben sollen. Ich war aber so stolz darauf, meiner Mutter ein Geschenk zu machen, dass ich vergessen hatte, mir eine Geschichte auszudenken, wie das Buch in meine Hände gelangt sein könnte.
Aber meine Phantasie ließ mich auch in dieser Situation nicht im Stich.
»Madame Sutter, unsere Naturkundelehrerin, hat es mir geschenkt, sie fand, ich hätte viel geleistet, und sagte, ich könnte mir ein Buch aus dem Schrank aussuchen, und da habe ich dieses für dich ausgewählt … Du magst Blumen, das weiß ich ja.«
Meine Mutter glaubt mir immer. Sie nahm das Buch und den Umschlag an sich und verschwand damit in ihr Zimmer.
Sie hebt alles auf, was ich ihr schenke.
Selbst wenn ich ihr die Praline gebe, die sie einembeim Japaner nach dem Essen servieren, isst sie sie nicht, sondern hebt sie auf.
Zum Muttertag habe ich ihr schon viele Scheußlichkeiten gebastelt. Schlecht bemalte Vasen aus alten Wasserflaschen. Tonschalen mit lauter Löchern drin. Dreißig Kilo schwere Perlenketten. Bizarre Kompositionen aus Makkaronis und Reiskörnern, die abbröseln. Und eine Million Zeichnungen, eine hässlicher als die andere. All das hat einen Platz in ihrem Schlafzimmer gefunden. Wenn man reinkommt und sieht das gleich als Erstes, tun einem die Augen weh.
Um die Geschichte mit dem Blumenbuch zu Ende zu erzählen – ich dachte also schon, ich wäre auf dem Trockenen. Am nächsten Morgen, als ich zur Schule ging, fiel mir jedoch ein, dass ja eine Woche später Elternsprechtag war. Meine Mutter würde zu Madame Sutter gehen und über das Blumenbuch sprechen. Ich geriet in Panik und konnte an nichts anderes mehr denken. Im Biounterricht schaute ich in den Schrank, für den Fall, dass so ein Buch drin stand. Ich hätte die Lehrerin dann gebeten, es mir zu schenken.
Doch in dem Schrank waren keine Bücher, nur Kittel, Reagenzgläser und Aktenordner.
Als der Elternsprechtag gekommen war, hatte ich ganz schön Schiss. Die Eltern drehen ihre Runde von Klassenzimmer zu Klassenzimmer und sprechen einzeln mit den Lehrern. Ich habe alles versucht, damit meine Mutter nicht mit Madame Sutter redet. Ich zerrte sie am Ärmelzu anderen Klassenzimmern, zeigte ihr unseren Pausenhof, den Speisesaal, die Gänge. Leider ist Madame Sutter eine der nettesten Lehrerinnen an unserer Schule, immer ist sie gut gelaunt. Sie ist immer überall dabei, und ihr Lachen hört man vierzehn Kilometer gegen den Wind. Damit meine ich: Man entgeht ihr nicht. Es gibt solche Leute, die ziehen andere magisch an, weil sie so viel Lebensenergie haben. Madame Hank hingegen, unsere Englischlehrerin, da möchte man am liebsten gar nicht existieren, wenn man sie sieht.
Wir waren in einem anderen Gebäudeteil, als wir vom Ende des Flurs her Madame Sutter hörten:
»Madame Traoré, Madame Traoré!«
Wir drehten uns um und sahen, wie sie auf uns zurannte.
»Ach, guten Tag, Madame Traoré, ich bin Madame Sutter, Charlys Biolehrerin … Ich suche schon die ganze Zeit nach Ihnen, Sie sind die Einzige, die noch nicht bei mir war, und Madame Hank sagte mir, Sie seien da.«
Madame Hank, die blöde Schlampe.
Ich ließ meine Mutter und Madame Sutter in ein Klassenzimmer gehen, um meinen Fall zu besprechen.
Ich blieb auf dem Flur, mit bangem Herzen.
Nach einer Viertelstunde kam meine Mutter wieder heraus. Sie wirkte ganz normal, und ich hatte den Eindruck, dass sie und meine Lehrerin gut miteinander ausgekommen waren.
»Wie war’s, Maman?«
»Sehr nett, weshalb?«
»Nur so.«
Auch auf dem Heimweg wiegte ich mich noch in Sicherheit, weil sie mir einen Eistee kaufte.
Zu Hause angelangt, verschwand ich sofort auf mein Zimmer. Henry war wie üblich nicht da.
Ich begann in aller Ruhe mit irgendwas herumzuspielen, doch plötzlich rief meine Mutter etwas aus dem Nebenzimmer, das mich erstarren ließ:
»CHARLES!«
Wenn sie mich bei meinem vollständigen Namen ruft, ist es etwas Schlimmes.
Ich eilte ins Wohnzimmer und begriff sofort. Auf dem niedrigen Tisch vor meiner Mutter, die auf dem Sofa saß, lag das Blumenbuch. »Ja, Maman?«
»Setz dich.«
Ich nahm auf dem Sessel ihr gegenüber Platz.
»Woher hast du dieses Buch?«
»Na ja, von Madame Sutter, wie ich dir ja erzählt habe.«
»Hör auf mit deinen Lügen … Von Madame Sutter hast du überhaupt nichts … Ich habe mich bei ihr bedankt, weil sie dir das Buch geschenkt hatte. Sie wusste überhaupt nicht, wovon ich rede … Sie sagte, sie hätte noch nie einem
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