Ringwelt 06: Flatlander
auf Chris Penzler zu feuern. Ich würde bezeugen müssen, daß sich niemand sonst dort draußen in den Schatten versteckt gehalten hatte. Ich hatte jeden weiteren Verdächtigen eliminiert, mit Ausnahme von Naomi.
Es war verrückt. Was konnte eine Frau wie Naomi mit Chris Penzler zu schaffen haben? Andererseits erinnerte ich mich an den haßerfüllten Blick, den sie am vergangenen Abend unserem Tisch zugeworfen hatte. Hatte dieser Blick etwa Penzler gegolten?
Das blonde Haar war noch immer unordentlich vom Helm des Druckanzugs. Sie hatte den Rest des Anzugs noch nicht ausgezogen. Sie trug noch immer den großen, blau-bunten Schmetterling über den Augen. Sie rutschte unruhig auf der Vorderkante ihres Stuhls hin und her und sagte schließlich: »Ich war damals nur eine Woche hier. Ich … ich war in der richtigen Stimmung für eine tote Welt, aber ich war gleichzeitig sehr stark mit mir selbst beschäftigt. Mein Ehemann und meine kleine Tochter waren gerade erst gestorben. Ich schätze, ich habe den größten Teil der Zeit damit verbracht, aus meinem Zimmerfenster nach draußen zu starren.«
»Sie haben Hovestraydt City gestern Abend ganz allein verlassen«, fuhr die Vernehmungsbeamtin fort. »Sie waren viereinhalb Stunden draußen. Für einen Touristen ist das ziemlich tollkühn. Sind sie von den ausgewiesenen Wegen abgewichen?«
»Nein. Ich habe die Umgebung erkundet. Ich war wandern. Eine Zeit lang hielt ich mich auf der Straße, doch ich bin immer wieder in die Schatten und die tiefen Krater geklettert. Warum nicht? Ich konnte mich schließlich nicht verlaufen. Ich habe die ganze Zeit die Erde über mir gesehen.«
»Hatten Sie einen Signallaser bei sich?«
»Nein. Niemand hat mir dazu geraten. Habe ich gegen irgendeine Vorschrift verstoßen, Sergeant?«
Die Lippen der Lunie-Frau zuckten. »In gewisser Weise, ja. Sie werden beschuldigt, mehrere hundert Meter westlich der Stadt in Deckung gegangen zu sein, das Fenster des Vierten Sprechers Chris Penzler ausspioniert und ihn beobachtet zu haben, bis er in seiner Badewanne aufgestanden ist, worauf Sie mit einem Signallaser auf seine Brust geschossen haben. Haben Sie das klar und deutlich verstanden?«
Naomi war erstaunt, dann entsetzt … oder sie war eine hervorragende Schauspielerin. »Nein. Warum hätte ich das tun sollen? Ich … ich … Gil?« Sie wandte sich zu mir um. »Bist du in diese Sache verwickelt?«
»Nur als Beobachter«, entgegnete ich nicht ganz ehrlich. Marion warf mir einen mißtrauischen Blick zu. Es war nicht zu übersehen, daß die Verdächtige mich kannte.
Die Vernehmungsbeamtin fragte weiter: »Mrs. Mitchison? Kannten Sie Chris Penzler?«
»Ja, ich kannte ihn. Er ist ein Belter. Mein Mann und ich lernten ihn vor fast fünf Jahren auf der Erde kennen. Er verhandelte mit den Vereinten Nationen wegen irgendeines juristischen Problems. Ist er tot?«
»Nein. Aber er ist sehr schwer verwundet.«
»Und Sie beschuldigen mich allen Ernstes des versuchten Mordes? Mit einem Nachrichtenlaser?«
»Das tun wir, jawohl.«
»Aber … ich habe doch überhaupt keinen Grund dazu! Ich hatte außerdem keinen Nachrichtenlaser bei mir. Warum ausgerechnet ich?« Ihre Augen blickten gehetzt umher: ein Schmetterling, der gegen ein Fenster flatterte. »Gil?«
Ich zuckte zusammen.
»Ich habe nichts mit dieser Sache zu tun. Ich bin nicht zuständig.«
»Gil, ist versuchter Mord ein Verbrechen, das mit der Organbank bestraft wird? Auf dem Mond, meine ich?«
Sergeant Drury antwortete für mich. »Warum sollten wir einem ungeschickten Killer eine zweite Chance geben?«
»Du kannst dich weigern, irgendwelche Fragen zu beantworten«, sagte ich.
Naomi schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das geht schon in Ordnung. Aber … ist das nicht eine Fernsehkamera?«
Jefferson bedeutete mit dem Finger Tom und Desirée ihm zu folgen. Die beiden Nachrichtenleute wechselten einen Blick und kamen irgendwie stillschweigend zu der Übereinkunft, daß Widerstand zwecklos war. Sie folgten Jefferson nach draußen.
Die Augen von Sergeant Drury erfaßten Marion. »Und wer, bitte schön, sind Sie?«
»Marion Shaeffer, Captain der Belt-Polizei. Der Angegriffene ist ein Bürger des Belt.«
Drury sah mich an, und ich antwortete: »Gil Hamilton. Agent der ARM. Ich bin Delegierter der Konferenz. Ich kenne Mrs. Mitchison persönlich. Ich würde gerne bleiben.«
»Haben Sie etwas zu sagen?«
»Ja. Naomi, ein Problem besteht darin, daß wir außer dir niemanden entdeckt haben, der
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