Ringwelt 06: Flatlander
relativ leer. »Welcher geistig gesunde Mensch ist um diese Zeit schon auf den Beinen?«
»Chiron, mach auf.«
Ich trat ein, und sie flog bereits auf mich zu! Ich beugte mich weit vor, um ihr Gewicht abzufangen, und schaffte es so gerade, nicht zusammen mit ihr gegen die Wand zu fliegen. Unser erster Kuß dauerte eine lange, lange Zeit. Wir schmeckten einander. Nach und nach wurde mir bewußt, daß sie einen chirurgischen Papieroverall trug. Diese Dinger sind für den Einmalgebrauch gedacht.
»Kann ich ihn zerfetzen?«
»Tu dir keinen Zwang an.«
Ich riß ihr das Ding in Stücken vom Leib, mit einer musikalischen Untermalung: dem Brüllen eines unerträglich frustrierten Männchens. Das Papier war zäh. Ein Lunie hätte es niemals geschafft. Ich riß sie in meine Arme und sprang zum Bett, doch wir prallten von der Liegefläche zurück in die Luft. Meine Kleider zog ich ein wenig vorsichtiger aus. Wir sanken wieder auf das Bett hinab, und dann begannen meine Schwierigkeiten.
Sie flüsterte mir ins Ohr. »Laß mich nach oben, ja? Ich hatte ein wenig Gelegenheit zum Üben. Die Missionarsstellung funktioniert nicht hier oben.«
»Was muß ich wissen?«
Zum Teil erzählte sie es mir, zum Teil zeigte sie mir, was ich zu tun hatte. Wir mußten unsere Muskeln einsetzen, um zusammenzubleiben; die Gravitation war keine Hilfe. Wir hüpften und verbrachten viel Zeit in der Luft über dem Bett. Taffy sagte mir, daß ich keine Angst haben sollte herauszufallen, und ich folgte ihrem Rat. Wir waren wie zwei altvertraute Tanzpartner, die einen neuen Tanz übten, und diesmal führte Taffy.
Wir ruhten uns aus. Dann liebte ich sie im Stehen, und Taffy schlang ihre starken Beine um meine Hüften. Mit einer Hand hielt sie sich am Badewannenrand fest. In der niedrigen Schwerkraft des Mondes ist diese Stellung fast erholsam. Und ich betrachtete ihr Gesicht, so froh, so leuchtend, so vertraut.
Wir ruhten ein weiteres Mal aus. Der Schweiß blieb, wo er war; keine Tropfen rannen zu Boden. Taffy regte sich in meinen Armen und fragte: »Hungrig?«
»Ja!«
Auf dem Tisch stand ein Tablett. Rührei, Hühnchenflügel, Toast, Kaffee. »Vielleicht ist es ein wenig kalt geworden«, sagte sie. »Ich wollte das Essen schließlich hier haben, bevor du kamst. Ansonsten müßten wir uns jetzt nämlich anziehen.«
Wir aßen. »Wie ist das mit diesen Lunies?« fragte ich. »Ich höre immer wieder Bemerkungen. Die Art von Verhalten, die man vielleicht im achtzehnten Jahrhundert erwarten würde, mit Geschlechtskrankheiten und gänzlich ohne Verhütungsmittel.«
Sie nickte und schluckte, dann sagte sie: »Harry hat einmal versucht, es mir zu erklären. Die Menschen leben inzwischen seit hundertzwanzig Jahren oder so auf dem Mond, doch bis vor achtzig Jahren waren es erst wenige Hundert. Menschliche Wesen haben sich noch nicht wirklich an die niedrige Gravitation und das Kindergebären darin angepaßt. Vielleicht eines Tages, aber bis dahin … Lunies heiraten früh, haben zwei oder drei Kinder und benutzen niemals Verhütungsmittel. Zwei oder drei Kinder und ein bis zwei Dutzend Schwangerschaften, die vorzeitig enden. Die Kinder sind etwas Kostbares. Es ist von allergrößter Bedeutung, zu wissen, wer der Vater ist.«
»Mmm-hm.«
»Das ist die offizielle Version. Aber es gibt Kontrazeptive, und sie werden gekauft. Lange Beziehungen sind normal, genau wie Kinder, die sieben oder acht Monate nach der Heirat zur Welt kommen. Ich schätze, sie probieren einander aus, genau wie wir Menschen es tun, aber sie wechseln die Partner ständig und suchen dabei nach Fruchtbarkeit und nicht nach dem Menschen, mit dem sie am besten harmonieren. Aber sie reden nicht einmal darüber.«
»Mit Ausnahme von Harry.«
Sie nickte. »Harry findet Gefallen an Flatlander-Frauen. Die Gesellschaft honoriert dies mit einem Stirnrunzeln, doch Harry ist ein viel zu guter Arzt, und deshalb feuern sie ihn nicht.« Sie grinste mich an. »Das ist seine Geschichte. Er ist sogar verdammt gut. Und er ist steril. Garantiert. Hier oben gibt es eine ganze Reihe steriler Männer und Frauen. Sie nehmen eine besondere Position ein. Sie werden nicht als wirkliche Gefahr betrachtet, wenn du weißt, was ich meine.«
Ich wollte mehr über diese Beziehung mit Harry wissen und versuchte eine indirekte Annäherungstaktik. »Würdest du mir empfehlen, eine Lunie als Liebhaberin zu nehmen?« fragte ich.
Sie lächelte nicht. »Gil, hol dir keinen Korb, wenn du versuchst, eine Lunie zu
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