Ringwelt 06: Flatlander
nicht dort gewesen ist, wo wir ihn vermutet haben.«
»Und wie, bitte schön, würden Sie das anstehen?« fragte Tom.
»Ich bin müde. Gehen Sie, lassen Sie mich in Frieden.«
»Ist sie schuldig?« fragte Desirée.
»Chiron, Anruf beenden. Keine weiteren Störungen für die nächsten acht Stunden.« Ich wußte es nicht.
Es dauerte lange, bis ich einschlafen konnte.
7.
VERGANGENE NACHT UND DER MORGEN DANACH
Am nächsten Morgen diskutierten wir bei Kaffee und Brötchen über den bisherigen Verlauf des Prozesses. Belter und Flatlander brachten gleichermaßen ihre Überraschung über die Geschwindigkeit des Verfahrens und die geringe Zahl der Geschworenen zum Ausdruck.
Die Lunies reagierten gekränkt. Sie beteuerten, daß das Leiden der Angeklagten wegen der drohenden Todesstrafe so kurz wie möglich gehalten werden sollte. Und die Anzahl der Geschworenen erkläre sich aus der Tatsache, daß der Mond noch nie eine Bevölkerung mit reichlich Freizeit besessen habe. Drei seien ausreichend. Eine größere Anzahl von Geschworenen würde sich nur in verschiedenen Standpunkten verstricken, genau wie jedes andere Komitee auch. Genau wie unsere Konferenz.
Die Debatte wurde hitzig.
Chris Penzler saß nicht mehr im Schwebestuhl, doch er bewegte sich wie ein alter Mann, und unter seinem Hemd steckte noch immer ein dicker Verband aus Schaumstoff. Er schien keine Lust zu verspüren, sich an den Diskussionen zu beteiligen, genauso wenig wie ich. Einmal meldete ich mich mit dem Vorschlag, daß man die Dauer einer Gerichtsverhandlung vielleicht von der Komplexität eines Falles abhängig machen sollte, doch ich stieß damit auf wenig Gegenliebe. Marion Shaeffer wagte sogar die Anschuldigung, daß ich auf der Seite der Angeklagten stünde. Danach sagte ich gar nichts mehr.
Schließlich rief Bertha Carmody zur Tagesordnung. Sie sprach ein paar Worte, um die aufgewühlten Emotionen zu beruhigen, und entließ uns dann wie bereits am Tag zuvor in den Gerichtssaal.
Ich wurde nicht wieder in den Zeugenstand gerufen. Chris Penzler hingegen schon. Er sagte lang und breit über seine Beziehung zu Itch und Naomi Mitchison aus.
Er gab zu Protokoll, daß er Naomi erkannt hatte, als sie in Hovestraydt City gelandet war. Sie hatte ihm einen kalten Blick geschenkt, und er hatte ihn erwidert, und seitdem waren sie sich aus dem Weg gegangen. Er wiederholte noch einmal, daß er nicht beschreiben konnte, was er gesehen hatte, bevor der Schuß gefallen war. Lunie, Belter oder Flatlander: Er wußte es einfach nicht.
Er schien es nicht darauf anzulegen, Naomi zu schaden. Es war vielmehr, als versuche er mit Hilfe des Gerichts ein Rätsel zu lösen.
Die Verteidigung rief Doktor Harry McCavity auf, der bestätigte, daß die Beschaffenheit der Wunde den Rückschluß zuließe, der Strahl habe eine uncharakteristische Streuung besessen. Als man ihn fragte, ob eine andere Waffe als ein Nachrichtenlaser für die Tat in Frage käme – beispielsweise etwas, das ein Amateur zusammengebastelt haben könnte, so daß die Fokussierung nicht präzise funktionierte – geriet er ins Schwanken. Das Loch in Penzlers Brust sei so ungewöhnlich groß auch wieder nicht gewesen. Und – verdammter Kerl! – er brachte meine Theorie des Öltropfens auf der Mündung zur Sprache.
Sie kamen schneller zum Ende, als ich jemals für möglich gehalten hätte.
Gegen 1100 begann die Elfenfrau bereits mit ihrem Plädoyer. Sie machte noch einmal deutlich, daß Naomi ein Motiv, eine Bedeutung und eine Gelegenheit zur Tat gehabt hatte.
Die Rechtsprechung erforderte nicht, daß dem Täter ein Motiv nachgewiesen werden mußte (ich hatte mich gefragt, ob das auch für die lunare Rechtsprechung zutraf), doch Naomi besaß ein genügend starkes Motiv. Das Schicksal hatte ihr einen schrecklichen Schlag versetzt; halb von Sinnen hatte sie einen Versuch unternommen, einer unerträglichen Umgebung zu entfliehen … und Chris Penzler hatte ihre Flucht aus persönlichen Beweggründen heraus vereitelt. Die Staatsanwaltschaft versuchte nicht, Penzlers Verhalten zu entschuldigen, doch seine rachsüchtige Handlungsweise hatte den letzten Faden zerrissen, an dem Naomis Verstand gehangen hatte.
Methode? Naomi war eine Top-Programmiererin. Es war bestimmt nicht leicht, den Kode des Stadtcomputers von Hovestraydt City zu knacken, doch Naomi hatte nicht sehr tief in das Netz eindringen müssen. Sie hatte lediglich Zutritt zu einer computerüberwachten Waffenkammer benötigt, ohne daß
Weitere Kostenlose Bücher