Ringwelt 06: Flatlander
alles getan hatten, um ihr Recht auf ewiges Leben zu wahren.
Selbst heute noch gab es nicht genügend Transplantate. Eine Frau mit Nierenproblemen konnte vielleicht ein Jahr auf Ersatz warten: auf eine gesunde Niere, die für den Rest ihres Lebens ausreichte. Ein fünfunddreißigjähriger Herzkranker mußte vielleicht mit einem gesunden, aber fünfundvierzig Jahre alten Herzen vorlieb nehmen. Eine Lunge, Teile einer Leber, Prothesen, die sich zu rasch abnutzten, zu viel wogen oder in ihrer Funktion beeinträchtigt waren … es gab einfach nicht genügend Kriminelle.
Und die Todesstrafe besaß eine abschreckende Wirkung. Die Menschen verzichteten lieber darauf, Verbrechen zu begehen, als sich unfreiwillig im Spenderraum eines Krankenhauses wiederzufinden.
Benötigte man rasch ein neues Verdauungssystem, ein junges, gesundes Herz oder gar eine ganze Leber, wenn man die eigene durch Alkohol ruiniert hatte … dann mußte man sich an einen Organpascher wenden.
Organpaschen besitzt gleich drei geschäftliche Aspekte. Zum einen wäre da das Kidnappen und Ermorden des Spenders. Es ist riskant, aber man kann eine Organbank schließlich nicht füllen, indem man auf Freiwillige wartet. Die Exekution verurteilter Krimineller wiederum ist ein staatliches Monopol. Also geht man hinaus und holt sich seine Spender: auf einer von Menschen überfüllten Straße, in einem Terminal, aus einem liegen gebliebenen Wagen auf irgendeiner Straße … von überall her.
Der Verkauf der Organe ist nahezu gleich gefährlich, weil selbst ein unheilbar kranker Mensch mitunter so etwas wie ein Gewissen entwickelt. Er kauft sein Transplantat und geht nach seiner Heilung geradewegs zur ARM, wo er die gesamte Schmugglerbande verrät, um sein Gewissen zu besänftigen.
Aus diesem Grund finden die Verkaufsverhandlungen in einem relativ anonymen Umfeld statt – doch da kaum ein Kunde mehrfach kauft, ist dies nicht mehr als eine bloße Vorsichtsmaßnahme.
Der dritte Aspekt ist der medizinisch-technische. Wahrscheinlich ist das der ungefährlichste Teil des gesamten Geschäfts. Das erforderliche Krankenhaus ist zwar groß, doch man kann es überall relativ gefahrlos aufbauen. Man wartet auf die Spender, die in der Regel noch lebendig eintreffen, dann entnimmt man die Leber und die Drüsen und quadratfußweise lebendes Hautgewebe; alles selbstverständlich korrekt beschriftet, um das Risiko von Abstoßungsreaktionen gering zu halten.
Selbstverständlich ist die ganze Angelegenheit nicht ganz so unproblematisch wie sie vielleicht klingt. Man brauchte Ärzte dazu. Und zwar gute.
Und an dieser Stelle kam Loren ins Spiel. Er besaß diesbezüglich sozusagen ein Monopol.
Woher er die Ärzte bekam? Wir waren noch immer nicht dahinter gekommen. Irgendwie hatte ein einzelner Mann einen narrensicheren Weg gefunden, um ebenso talentierte wie unehrliche Mediziner gleich en masse zu rekrutieren. Handelte es sich tatsächlich nur um einen einzigen Mann? Sämtliche unserer Informationsquellen behaupteten dies jedenfalls. Und er hatte die halbe amerikanische Nord Westküste in seiner Hand.
Loren. Keine Holografien, keine Fingerabdrücke, keine Retinamuster – nicht einmal eine Beschreibung. Wir hatten überhaupt nichts, bis auf einen Namen und ein paar mögliche Kontakte.
Und einer dieser Kontakte war niemand anderes als Kenneth Graham.
Das Hologramm war sehr gut. Wahrscheinlich in einem Porträtladen aufgenommen. Kenneth Graham besaß ein langes, schottisches Gesicht mit einem langen Kinn und einem kleinen, verkniffenen Mund. In seinem Holo bemühte er sich, gleichzeitig zu lächeln und würdevoll dreinzublicken. Auf den Betrachter jedoch machte er lediglich den Eindruck, als fühle er sich unbehaglich. Sein Haar war sandfarben und kurz geschnitten. Über den hellgrauen Augen befanden sich so helle Brauen, daß sie nahezu unsichtbar wirkten.
Mein Frühstück trudelte ein. Ich tunkte einen Donut in meinen Kaffee und stellte fest, daß ich hungriger war, als ich geglaubt hatte.
Im Computer waren eine ganze Reihe von Holos gespeichert. Ich kontrollierte rasch die restlichen Holos, während ich mit einer Hand weiteraß. Einige waren verschwommen – sie waren mit Hilfe von Spionagewerkzeug durch die Fensterscheiben von Grahams Laden aufgenommen worden. Kein einziger Computerausdruck war in irgendeiner Weise belastend. Keiner zeigte Graham lächelnd.
Er verkaufte mittlerweile seit zwölf Jahren seine elektrischen Freudenspender.
Ein Stromsüchtiger
Weitere Kostenlose Bücher