Ringwelt 06: Flatlander
kann überhaupt nicht funktionieren. Er hat einen entscheidenden Haken. Angenommen, Mister Jennison zieht den Netzstecker aus der Wand?«
»Hätte er das gekonnt? Wenn ja, hätte er es getan?«
»Ob er das gekonnt hätte? Aber selbstverständlich! Einmal gezupft, und fertig. Der Strom behindert nicht die motorische Koordination, oder?« Ordaz schob nachdenklich sein Bier vor sich her. »Ich weiß eine Menge über Stromsucht, Mister Hamilton, aber ich weiß nicht, wie sie sich anfühlt. Ein gewöhnlicher Süchtiger zieht den Stecker immer wieder heraus, wenn er lange genug genossen hat. Ihr Freund bekam die zehnfache Dosis ab. Vielleicht hat er den Stecker ein Dutzend Mal gezogen und jedes Mal augenblicklich wieder eingesteckt. Andererseits sind Belter angeblich besonders willensstarke Menschen und extrem individualistisch veranlagt. Wer weiß, ob Ihr Freund nicht selbst nach einer Woche noch imstande gewesen wäre, den Stecker aus der Wand zu ziehen, die Schnur aufzuwickeln und davonzumarschieren, als sei nichts gewesen?
Außerdem wäre da noch das zusätzliche Risiko, daß irgendjemand sich Zutritt zu seinem Appartement verschafft – ein Servicetechniker für die Automaten beispielsweise. Oder irgendjemandem fällt auf, daß Jennison seit einem Monat keine Nahrung mehr eingekauft hat. Ein Selbstmörder würde dieses Risiko eingehen. Selbstmörder geben sich in aller Regel eine Chance, für den Fall, daß sie es sich anders überlegen. Aber ein Mörder?
Nein. Nicht einmal, wenn die Chance eins zu tausend steht, würde der Mann, der einen solch detaillierten Plan entwickelt, das Risiko eingehen.«
Die Sonne brannte heiß auf unsere Schultern herab. Unvermittelt erinnerte sich Ordaz an seine Mahlzeit und begann zu essen.
Ich beobachtete, wie die Welt hinter der Hecke vorbeiglitt. Fußgänger standen in kleinen Gruppen beieinander und unterhielten sich, andere schielten in Schaufenster oder über die Hecke und sahen uns beim Essen zu.
Und dann gab es noch die wenigen, die sich mit entschlossenen Gesichtern durch die Menge drängten, denen die Rollsteige zu langsam waren, die immerhin zehn Meilen pro Stunde schafften.
»Vielleicht haben sie ihn beobachtet. Vielleicht war das Appartement verwanzt.«
»Wir haben alles sorgfältig abgesucht«, entgegnete Ordaz. »Falls sie Beobachtungsinstrumente deponiert hatten, wären sie uns aufgefallen.«
»Sie könnten entfernt worden sein.«
Ordaz zuckte die Schultern.
Ich erinnerte mich an die Überwachungskameras im Gebäude von Monica Appartements. Irgendjemand hätte Owens Wohnung betreten müssen, um die Wanzen beiseite zu schaffen. Er konnte mit dem richtigen Material vielleicht die Kameras stören, doch er hätte ganz sicher Spuren hinterlassen.
Und Owen hatte ein Innenappartement gehabt. Keine Spionagestrahlen.
»Eine Sache haben Sie noch vergessen«, sagte ich schließlich.
»Und was bitte schön soll das sein?«
»Mein Name in Owens Brieftasche. Er nennt mich als seinen nächsten Angehörigen. Er wollte meine Aufmerksamkeit auf die Sache lenken, an der er arbeitete. Auf die Loren-Bande.«
»Das ist möglich.«
»Beides ist nicht möglich, Mister Ordaz.«
Ordaz senkte die Gabel. »Für mich schon, Mister Hamilton. Aber es würde Ihnen nicht gefallen.«
»Das würde es sicher nicht.«
»Wir wollen Ihre Hypothese noch einmal zusammenfassen. Mister Jennison wurde von einem Agenten des Organpaschers Loren angesprochen, der den Beltern Transplantationsmaterial zu verkaufen beabsichtigte. Mister Jennison nahm das Angebot an. Die Aussicht auf Reichtum war zu verlockend.
Einen Monat später erkannte er durch einen uns unbekannten Umstand, in was für eine schreckliche Geschichte er da verwickelt worden war. Er beschloß zu sterben. Er ging zu einem Ekstasedealer und ließ sich den Draht in den Kopf setzen. Später dann, bevor er den Stromfluß aktivierte, unternahm er einen Versuch, sein Verbrechen wieder gutzumachen. Er benannte Sie als seinen nächsten Verwandten, weil er wollte, daß Sie seinen Tod untersuchen, und weil Sie das Wissen, das Sie dabei erwerben würden, daraufhin gegen Loren verwenden könnten.«
Ordaz blickte mich über den Tisch hinweg an. »Ich verstehe, daß Sie ganz und gar nicht dieser Meinung sind. Ich kann nichts daran ändern. Für mich zählen nur Beweise, Sir.«
»Für mich auch. Aber ich kannte Owen. Er hätte niemals für einen Organpascher gearbeitet. Und er hätte niemals Selbstmord begangen, und falls doch, dann ganz bestimmt
Weitere Kostenlose Bücher