Ringwelt 06: Flatlander
den Sinn gekommen, mich der unangenehmen Situation einfach zu entziehen. Im Nachhinein denke ich immer daran, doch wenn es passiert, stehe ich einfach nur da und starre meine Beschützerin/Lehrerin/Richterin an. Ich dachte an Taffy…
»Sie ist hübsch«, sagte ich. »Nicht entmenschlicht. Im Gegenteil, eher sogar ein wenig zu sensibel. Sie würde sicher keine gute Krankenschwester abgeben … Sie will helfen, und es zerreißt sie innerlich, wenn sie nicht kann. Ich würde sagen, Taffy ist eine von denen, die leicht verletzbar sind.«
»Sprich weiter.«
»Ich möchte sie wiedersehen, doch ich wage nicht, Klartext mit ihr zu reden. Im Grunde genommen … wahrscheinlich wäre es besser, ich würde sie erst dann sehen, wenn diese Sache mit Owen vorüber ist. Loren könnte sich für sie interessieren, oder … oder sie verliebt sich in mich, und ich werde verletzt … habe ich etwas übersehen?«
»Ich denke schon. Du schuldest ihr einen Anruf. Wenn du sie in den nächsten Tagen nicht treffen kannst oder willst, dann ruf sie an und sag es ihr.«
»Verstanden.« Ich machte auf dem Absatz kehrt – drehte mich jedoch gleich wieder um. »Bei Finagles Humor! Fast hätte ich den Grund vergessen, aus dem ich mit dir reden wollte …«
»Ich weiß. Du möchtest, daß ich Tuchfühlung mit dir halte. Was hältst du von neun Uhr fünfundvierzig jeden Morgen?«
»Das ist ein wenig früh. Wenn ich in tödliche Gefahr gerate, dann normalerweise nachts.«
»Nachts habe ich frei. Neun Uhr fünfundvierzig ist der einzige Termin, den ich noch zur Verfügung habe. Tut mir leid, Gil, aber so ist es nun einmal. Soll ich dich nun überwachen oder nicht?«
»Ich bitte darum. Neun Uhr fünfundvierzig also.«
»Gut. Laß mich wissen, sobald du handfeste Beweise hast, daß Owen ermordet wurde. Dann werde ich dir zwei Termine geben. Schließlich ist die Gefahr dann ein wenig konkreter als jetzt.«
»Danke.«
Taffy war natürlich nicht zu Hause, und ich wußte nicht, wo sie arbeitete oder was sie eigentlich beruflich machte. Ihr Telefon bot mir an, eine Nachricht zu hinterlassen. Ich nannte meinen Namen und sagte, daß ich es später noch einmal versuchen würde.
Dann saß ich fünf Minuten lang schwitzend an meinem Schreibtisch, vor mir das Telefon, und mir wollte absolut keine Ausrede einfallen, die mich von der Verpflichtung entbunden hätte, Homer Chandrasekhar eine Nachricht zu senden.
Ich wollte nicht mit ihm reden, weder zu diesem noch zu einem anderen Zeitpunkt. Er hatte mich bei unserem letzten Zusammentreffen fürchterlich niedergemacht. Mein freier Arm hatte mich mein Leben als Belter und Homers Respekt gekostet. Ich wollte nicht mit ihm reden, ihm keine gesprochene Nachricht übermitteln, und ganz besonders wollte ich ihm nicht mitteilen müssen, daß unser gemeinsamer Freund Owen tot war.
Doch irgendjemand mußte es schließlich tun.
Und vielleicht konnte Homer ja irgendetwas herausfinden.
Außerdem schob ich den Anruf nun schon einen ganzen Tag lang vor mir her.
Fünf lange Minuten saß ich schwitzend da, dann meldete ich eine interplanetare Sprechverbindung an, zeichnete eine Nachricht auf und schickte sie zum Ceres ab. Genauer gesagt – ich zeichnete sechs Nachrichten auf, bevor ich zufrieden war. Doch lassen wir das, ich rede nur ungern darüber.
Ich versuchte noch einmal, Taffy zu erreichen – vielleicht kam sie zum Mittagessen nach Hause. Falsch gedacht.
Ich legte auf und fragte mich, ob Julie mir gegenüber fair gewesen war. Was hatten Taffy und ich schon vereinbart, außer, daß wir eine angenehme Nacht miteinander verbringen wollten? Was wir dann ja auch getan hatten. Mit ein wenig Glück würden weitere folgen.
Andererseits würde es Julie schwer fallen, nicht fair zu sein. Wenn sie glaubte, daß Taffy die Verwundbare war, dann hatte sie diese Information aus meinem eigenen Verstand geholt.
Gemischte Gefühle. Du bist ein Kind, und deine Mutter hat gerade eine Regel aufgestellt. Wie du auch dazu stehen magst, es ist eine Regel, etwas, auf das du dich verlassen kannst … und sie paßt auf dich auf … sie liebt dich … wohingegen so viele andere draußen vollkommen gleichgültig sind.
»Selbstverständlich habe ich an Mord gedacht«, sagte Ordaz. »Ich beziehe die Möglichkeit eines Mordes immer in meine Ermittlungen mit ein. Selbst als meine geliebte Mutter nach drei Jahren der aufopferungsvollsten Pflege durch meine Schwester Maria Angela verstarb, dachte ich daran, nach Nadelstichen zu
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