Ringwelt 12: Weltenwandler
›Mannschaft‹ war – schließlich hatte sich an Bord auch eine Frau befunden. Die Menschen, die er zur Ausbildung als Kundschafter ausgewählt hatte – drei weitere Freunde, auch wenn sie Aliens waren – waren fort. Wohin? Verschlungen von einer Singularität vielleicht, oder von irgendeiner bislang unbekannten Macht gefangen genommen. In einem feindseligen Universum konnte so viel schief laufen.
Hätte Nessus’ ungleich größere Vorsicht seine Freunde retten können, wenn er sich persönlich an Bord der Explorer befunden hätte?
Doch jetzt lasteten Opferzahlen auf seinem Gewissen, die ungleich größer waren als nur die drei aus seiner ehemaligen Mannschaft. Was hatte er mit all seinen Manipulationen erreicht? Wahrscheinlich gar nichts. Endlos drehten sich seine Gedanken im Kreis, ein hartnäckiges Wirrwarr. Sein ganzer Körper zitterte; es forderte immense Anstrengung, so lange der Katatonie zu widerstehen.
Endlich stellte sich Nessus der Realität und kehrte vorübergehend aus dem Hyperraum zurück. Dann taumelte er an seiner Kabine mit dem verlockenden Kissenstapel vorbei und betrat den überfüllten Frachtraum. Das Letzte, was er sah, bevor ihn endgültig die Müdigkeit überkam, waren die zahllosen Kisten, die er nach Hearth brachte. Der Anblick ließ einen Funken Hoffnung in seinen düsteren Gedanken aufglimmen.
Wenn er erst einmal dieses Geschenk erhalten hatte, wäre beim nächsten Zusammentreffen gewiss Nike derjenige von ihnen beiden, der als Erster das Wort ›Braut‹ erwähnen würde.
Immer weiter heimwärts fuhr die Aegis …
Tiefer in den galaktischen Norden, auf den dieser unermüdliche Ausfaller jetzt sein Augenmerk richtete. Dank seiner Handlanger hatte Nessus alles über die neuesten Fortschritte der ARM in Erfahrung gebracht.
Unruhig scharrte Nessus auf dem Deck mit den Hufen, und alles, was ihm hier immer noch verschlossen blieb, steigerte seine Aufregung nur noch. So wie das Handeln der Bürger durch die Furcht bestimmt wurde, bestimmte die Neugier das Handeln der Menschen. Jemand, der über deutlich mehr Arroganz als ›Verständnis für die Menschen‹ verfügte, hatte den Blick des unerbittlichsten Feindes der Konkordanz auf sie gelenkt. Nike war nicht bereit gewesen, den Namen des verantwortlichen Kundschafters zu nennen, doch Nessus hegte sehr wohl schon einen Verdacht.
Ausfaller rein zufälligerweise zu provozieren, klang ganz nach Achilles.
Irgendwann begab sich Nessus in den Gemeinschaftsraum des Schiffes. Er ließ sich eine weitere Portion von dem synthetisieren, was er auch beim letzten Mal gewählt hatte. Die Frage danach, was er essen sollte, ließ sich wenigstens vereinfachen. Nach den ersten Bissen lief ihm das Wasser in den Mündern zusammen; er aß regelrecht gierig. Erst als er den Teller ganz geleert hatte, blickte er auf. Er hatte keine Ahnung, was er da eigentlich gerade zu sich genommen hatte.
Ausfallers Schatten verfolgte Nessus. Die ARM musste aufgehalten werden. Aber wie? Ausfallers eigene Vorgesetzten hatten ihn nicht davon abbringen können, die Puppenspieler weiterhin zu verfolgen. Die Unruhen, die jetzt so schwer auf Nessus’ Gewissen lasteten, hatten ihn nicht abgelenkt. Und die Falle, die Achilles ihm gestellt hatte … die hatte Ausfaller nur noch weiter angestachelt.
Nessus füllte mehrere Trinkblasen mit Wasser; er wollte sie auf die Brücke mitnehmen. Auf der schimmernden Front des Wasserspenders sah Nessus das Spiegelbild einer verwahrlosten Gestalt mit wildem, fast irrem Blick. Es erschien ihm selbst kaum vorstellbar, dass eine derart anrüchige Gestalt so viel Verantwortung tragen sollte.
Selbst Nessus’ ranghöchste Kontaktpersonen bei den Vereinten Nationen fürchteten die ARM.
»Sie wollen, dass ich Ausfaller ausspioniere?«, war es aus Sangeeta Kudrin herausgeplatzt. Zu diesem Zeitpunkt war sie in einer undurchdringlichen, winzigen Kammer eingesperrt gewesen – Nessus hatte sie auf dem Weg zwischen zwei primitiven Transferkabinen abgefangen, und nun war sie ihm hoffnungslos ausgeliefert – und doch war es Ausfaller, vor dem sie wirklich Angst hatte. »Dieser Mann ist hochgradig paranoid! Vielleicht verstehen Sie ja nicht, was das heißt: Das bedeutet, dass er alles und jeden verdächtigt!«
Max Addeo hatte das Nessus schon einmal zu erklären versucht. Ich hätte mich damals wirklich bemühen sollen, ihn besser zu verstehen, dachte Nessus. Erst als Kudrin in Panik verfallen war, hatte er wirklich begriffen, was für ein
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