Riskante Versuchung
die Zeitung heute gelesen?“, fragte er unvermittelt.
„Nein“, antwortete sie. „Die liegt wahrscheinlich noch draußen. Warum?“
„Na ja, weil üble Nachrichten drinstehen.“
Jess stand auf und ging zur Tür. Sie stieß die Fliegengittertür auf und holte die Zeitung vom Rasen. Während sie mit der Schulter die Tür zudrückte, las sie die Schlagzeile. „Sarasota-Killer schlägt zu!“
„Oh, nicht schon wieder“, entschlüpfte es ihr. Rasch überflog sie den Artikel und sah dann geschockt zu Frank. „Du lieber Himmel, das ist nur einen Block von hier entfernt passiert. Letzte Nacht!“
„Die Polizei glaubt, es war der gleiche Täter.“ Franks Miene war ernst. „Das wäre sein vierzehntes Opfer.“
„‚Das Opfer wurde mit durchschnittener Kehle aufgefunden‘“, las Jess laut vor und spürte Ekel in sich aufsteigen, „‚und mit einem Seil gefesselt.‘ Wurde der Name der Frau erwähnt?“
„Ich habe den Artikel selbst noch nicht gelesen“, erklärte Frank.
„Grundgütiger“, murmelte Jess weiterlesend. Die Polizei hatte die Tatwaffe als eine Art Messer identifiziert, vermutlich ein Schnappmesser, dessen Klinge mindestens zwölf Zentimeter lang sei. Nach Einschätzung des Gerichtsmediziners war der Täter Rechtshänder. Diesen Schluss legten Größe und Form der Stichverletzungen nahe. Jess erschauerte und fasste sich unwillkürlich an den Hals. „Die Polizei gibt über Verdächtige noch keine Informationen preis. Ich wünschte, sie würden diesen Kerl endlich erwischen.“
„Manchmal werden solche Täter nie gefasst.“ Frank schüttelte den Kopf. „Es gibt eine Menge kranker Typen, die da draußen irgendwo herumlaufen. Ich nehme an, das ist der Grund, weshalb Rob wollte, dass ich in seinem Apartment wohne. Vor allem, weil du glaubst, dass dir jemand nachstellt. Rob meint, dein Aussehen ähnele denen der meisten Opfer, und ich muss sagen, er hat recht. Er denkt, du bist sicherer mit einem Mann nebenan. Aber die Entscheidung liegt selbstverständlich bei dir. Ich will dir nicht auf die Zehen treten.“
Was sie wirklich wollte? Dass Rob zurückkam … „Hm“, sagte sie langsam. „Ich weiß das Angebot wirklich zu schätzen, aber ich kann dich schlecht bitten, deine Wohnung zu verlassen. Rob hat mir erzählt, dass du ein hübsches Apartment an der Marina hast.“
Frank winkte ab. „Ja, ganz nett. Aber es würde mir nichts ausmachen, ehrlich. Ich bin ein großer Fan von dir - und so könnte ich dir beim Üben zuhören. Außerdem würde ich es nicht schlecht finden, ein wenig Gesellschaft zu haben. Das wäre mal eine nette Abwechslung. Ich lebe schon viel zu lange allein.“
Jess musterte ihn misstrauisch. Er besaß ein freundliches Gesicht und wirkte aufrichtig. Was ist nur los mit dir? schalt sie sich im Stillen. Du hast zu viele Jahre mit Ian verbracht, daran liegt es. Ein freundliches Lächeln war nur das, was es zu sein schien - ein freundliches Lächeln. Mehr nicht.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, gestand sie. „Außer: Herzlich willkommen in der Nachbarschaft.“
„Guten Abend, Miss Jess.“
Überrascht schaute Jess auf, sodass ihr der Ball, den Kelsey ihr zuwarf, aus den Händen sprang.
„Oh, hallo, Stan“, grüßte sie zurück, hob den Ball auf und warf ihn zurück zu Kelsey.
Unter den wachsamen Augen seines an den Rollstuhl gefesselten Vaters schnitt Stanford die Hecke entlang des Zaunes zwischen den beiden Gartengrundstücken.
„Sieht aus, als hättest du einen Besucher“, informierte er sie und deutete zur Auffahrt.
Jess‘ Herz schlug schneller. Vielleicht war es Rob …
Aber es war Ian, der in diesem Moment aus seinem Wagen stieg und leicht schwankend auf sie zukam. Fabelhaft. Er war mal wieder betrunken.
„Kel, geh ins Haus“, wies sie ihre Tochter an. „Du darfst fernsehen.“
Kelsey rannte so schnell ins Haus, dass die zuknallende Fliegengittertür das einzige Zeichen dafür war, dass sie sich im Garten aufgehalten hatte.
Jess wappnete sich, während sie darauf wartete, dass Ian näher kam. Es würde hart werden - den Großteil des Tages hatte sie an Rob denken müssen. Er war inzwischen fast zwei Wochen fort. Bis er wieder da war und seine Sachen aus dem Apartment geholt hatte, würde Jess kein normales Leben führen, geschweige denn sich vom Schmerz erholen können.
In letzter Zeit hatte sie ziemlich miese Laune gehabt. Alles und jeder ging ihr auf die Nerven - sogar Kelsey. Und Frank. Besonders der. Er kam jeden Abend
Weitere Kostenlose Bücher