Riskante Versuchung
weggeschnitten und nur Jess‘ Gesicht und Körper übrig gelassen. Auf verschiedenen Fotos war er sogar noch einen Schritt weitergegangen, indem er ihren Kopf von den Schultern getrennt hatte.
„Hey, Jess?“ Robs Stimme klang seltsam, beinah angespannt. Obwohl er leise sprach, klang sie unnatürlich laut in dieser Stille. „Hast du nicht gesagt, Ian sei besessen von dir?“
Jess drehte sich zu ihm um und sah es.
Ian hatte es an der Wand hinter der Tür befestigt, deshalb konnten sie und Rob es nicht gleich sehen, als sie den Raum betraten. Doch jetzt erkannten sie es umso deutlicher.
Es handelte sich um eine Collage, eine riesige Sammlung Fotos von Jess, etwa drei mal einen Meter achtzig. Da waren Hunderte von Fotos, und von allen war der Hintergrund sorgfältig weggeschnitten worden. Und allen war der Kopf von den Schultern getrennt worden. Die Köpfe hatte Ian an den oberen Teil der Collage geklebt. Die Körper befanden sich darunter. Es war sehr bizarr und beängstigend.
„Du lieber Himmel“, flüsterte Rob. „Wie lange hat er dafür wohl gebraucht?“
Das übertraf normale Wut und Bitterkeit nach einer Scheidung bei Weitem.
Das war eindeutig bizarr.
Und es war definitiv obsessiv.
Es war genau das, wonach Jess gesucht hatte. Allerdings hatte sie nicht wirklich damit gerechnet, etwas Derartiges auch tatsächlich zu finden.
Jess nahm Robs Hand und zog ihn hinter sich her aus dem Schlafzimmer, die Treppe hinunter.
„Wo gehen wir hin?“, wollte er wissen.
„Ein Münztelefon finden“, antwortete sie. „Um Parker Elliot anzurufen.“
15. KAPITEL
„Wer ist Parker Elliot?“, fragte Rob, während Jess atemlos vor Empörung die Nummer wählte, die auf der kleinen weißen Visitenkarte stand.
„Er ist vom FBI“, antwortete sie und wandte sich schnell ab, als sich jemand am anderen Ende der Leitung meldete.
FBI?
Rob lief es eiskalt den Rücken herunter. Jess hatte nicht gerade vom FBI gesprochen, oder?
„Ja“, sagte sie in den Hörer. „Ich muss bitte Mr Elliot sprechen.“ Sie machte eine Pause. „Nein, es ist sehr wichtig.“ Eine weitere Pause folgte. „Bitte sagen Sie ihm, hier ist Jess Baxter. Ich glaube, er wird sein Meeting unterbrechen, um mit mir zu sprechen.“
Sie schwieg wieder eine Weile, dann: „Ja? Mr Elliot? Tut mir leid, dass ich Sie behellige, aber ich habe Informationen gefunden, die Sie interessieren dürften.“ Sie warf Rob einen Blick zu. „Nein, nicht über … ihn. Über meinen Exmann Ian Davis.“ Jess senkte die Stimme, als sie diesem Elliot das „Kunstwerk“ beschrieb, das sie in Ians Schlafzimmer entdeckt hatten. Dann nannte sie Ians Adresse und legte die Hand auf die Sprechmuschel. „Sie werden es sich ansehen“, flüsterte sie Rob zu.
Sie? Wer waren sie? Waren die wirklich vom FBI?
Jess sprach weiter mit dem Mann am anderen Ende der Leitung. Ihr Gesicht war gerötet, sie wirkte aufgekratzt, aber zugleich lag ein bekümmerter Ausdruck in ihren Augen.
Rob rief sich ins Gedächtnis, dass sie einmal mit Ian verheiratet gewesen war. Sie hatte geglaubt, diesen Mann zu lieben, und zweifellos war sie davon überzeugt gewesen, Ian liebe sie ebenfalls. Jetzt diese krude Sammlung von Fotos, diesen bizarren Schrein, zu sehen, das musste wehgetan haben.
Rob hatte Ian stets bedauert. Er fand den Konzertgeiger traurig und bemitleidenswert. Doch nachdem er die Fotos an der Wand gesehen hatte und sich vorstellte, wie viele Stunden es gedauert haben mochte, die alle auszuschneiden, musste er sich fragen, ob Ian möglicherweise nicht auch besessen und gefährlich war.
„Morgen“, sagte Jess und hängte geräuschvoll ein. „Sie werden es sich ansehen … morgen.“ Sie ließ sich auf die Bank neben dem öffentlichen Telefon sinken und verschränkte die Arme. „Anscheinend haben sie zu viel zu tun, um heute Abend noch zu Ians Haus zu kommen.“
Wütend stieß sie die Luft aus und reckte das Kinn.
Rob setzte sich neben sie. „Wer ist dieser Elliot?“
Sie sah ihn an, und ihre Augen funkelten noch vor Empörung. „Parker Elliot“, erklärte sie. „Er ist Agent beim FBI.“
Rob zwang sich, ganz ruhig zu bleiben. Seine Miene veränderte sich nicht, sein Gesicht verriet ihn nicht. Doch er konnte nicht verhindern, dass sein Puls sich beschleunigte.
„Erinnerst du dich an Pete?“, fragte Jess.
„Der Barkeeper, von dem du glaubtest, er verfolgt dich?“ Was, um alles in der Welt, hatte der mit dem FBI zu tun?
Jess bejahte. „Pete heißt gar nicht Pete“,
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