Ritter 01 - Die Rache des Ritters
durch einen Mauerriss ins Innere des Turmes fiel und ihm half, die Wendeltreppe zu finden, die in die oben gelegenen Gemächer führte. Er hielt Rainas Hand fest, als sie die steile, gewundene Treppe hinaufstiegen, und versuchte, das seltsame Zittern in seiner Brust zu bezwingen, das mit jedem Schritt, den er tat, stärker wurde.
Unerwünschte Bilder tauchten in seiner Erinnerung auf: das grelle Klirren von d’Bussys Schwert, das bösartige Lachen, der zusammengesunkene Körper seiner Mutter, das Blut. Jesus, das Blut. Die Hand fest gegen seine Schläfe zu pressen reichte nicht, um den Schmerz zu lindern, der dort pochte, noch die Schuld, die an seinem Bewusstsein nagte.
»B-Bitte«, wisperte Raina hinter ihm. »Ich möchte nicht hierbleiben.«
Er verzog freudlos den Mund. »Der Gedanke ist auch für mich wenig verlockend, Mylady, aber ich glaube, es ist der sicherste Ort für uns, um Rast zu machen und uns für ein paar Stunden auszuruhen.«
Sie erklommen die Treppe und Gunnar ging auf die erste Kammer zu, seine Schritte klangen schwer. Schweiß perlte auf seiner Oberlippe und seiner Stirn, als er sich der Tür näherte, Furcht hielt sein Herz fast so fest umklammert wie Raina jetzt seine Hand.
»Wartet hier«, sagte er und ging, um dann an der Schwelle stehen zu bleiben. Er ballte die Fäuste und wappnete sich gegen das, was er in dem Raum finden mochte.
Die Tür stand einen Spalt weit offen und vermittelte seltsamerweise den Eindruck, als habe der letzte Benutzer das Zimmer ruhigen Herzens verlassen, nicht voller Schrecken. Er streckte die Hand aus und berührte das von einem Eisenband verstärkte Türblatt aus Eichenholz und verachtete sich selbst dafür, dass sie zitterte. Er war dankbar für die Dunkelheit, die dieses Zittern vor Rainas Blicken verbarg. Mit ein wenig Druck öffnete die Tür sich knarzend in ihren uralten Lederangeln.
Gunnar ließ den Blick rasch durch das Zimmer wandern und stieß den Atem aus. Er hatte noch nicht einmal bemerkt, dass er ihn angehalten hatte.
Kaltes Mondlicht fiel durch die halb offenen Läden vor den Fensterschlitzen der gegenüberliegenden Wand herein, durch die auch eine träge Brise Nachtluft hereinwehte. Er atmete flach und stellte überrascht fest, dass die Luft weder nach Tod noch nach Feuer roch, sondern nur nach dem leichten Duft des Sommers.
Im blassen Mondschein konnte Gunnar erkennen, dass keine alte Binsenstreu auf den groben Holzdielen lag. Jeder Hinweis auf die Zerstörung, die hier vor dreizehn Jahren stattgefunden hatte, war offensichtlich beseitigt worden. Die große Rüstungstruhe seines Vaters war fort; ebenso der Spinnrocken und die Spindeln seiner Mutter. Die Steinmauern des Gemachs, die einst mit bunten Teppichen und dem Banner der Rutledges bedeckt gewesen waren, waren jetzt kahl. Das Kohlenbecken war geleert worden und seit Langem unbenutzt. Es beherbergte jetzt eine fleißige Spinne, die das gähnende Loch in der gegenüberliegenden Wand mit ihrem komplizierten Netz überzogen hatte. Das große Bett, in dem seine Eltern geschlafen hatten, war das einzige Möbelstück, das sich noch im Raum befand, aber die Kissen und Strohmatratzen waren fort, und es war jetzt kaum mehr als ein staubbedeckter Holzrahmen, vielleicht zu unförmig, um aus dem Turm entfernt werden zu können.
Aber das Gemach schien nicht geplündert worden zu sein. Jemand, dem seine Eltern etwas bedeutet haben mussten, hatte alle Spuren der Schändung beseitigt, die d’Bussy begangen hatte. Und Gunnar war sich fast sicher, wer das gewesen war.
Er wandte sich um und sah Raina über die Schulter an, dann forderte er sie mit einer Handbewegung auf, zu ihm zu kommen. Sie trat aus der Dunkelheit und kam ohne Widerrede an seine Seite; offensichtlich war ihr selbst seine zweifelhafte Gesellschaft lieber, als allein an der Tür zurückgelassen zu werden. Gemeinsam betraten sie das Zimmer, Raina folgte ihm so dicht auf den Fersen, dass er fast den Druck ihrer Brüste gegen seinen Rücken spürte. Er spürte ihren Atem auf seiner Haut. Sie atmete rasch und flach.
Sie blieb in der Mitte des Zimmers stehen, während er weiterging, um die Fensterläden weit zu öffnen und auf den darunterliegenden Hof zu schauen. Seine Männer hatten bereits ein Feuer angezündet und sich darum versammelt, sie tranken aus ihren Flaschen und kauten auf Kanten von dunklem Brot.
»Seid Ihr hungrig?«, fragte er Raina.
»Nein.«
Die rasche, feste Ablehnung wurde von einem leisen Knurren aus ihrem Magen
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