Ritter 01 - Die Rache des Ritters
Illusionen darüber gemacht, dass ihr Vater – wie jeder Baron in dieser Zeit – hin und wieder gezwungen gewesen war, für den Erhalt und zum Schutz seiner Besitzungen und Lehnsgüter Kriege zu führen. Aber diese Burgruine sah furchtbarer als nach einem Krieg aus. Dieser Ort, mit einem solch großen Ausmaß an Zerstörung und bar jeden Lebens, war mehr als nur erobert worden. Er war ausgelöscht worden. Doch warum?
Sie verspürte ein Frösteln, das sich von ihren Gliedern bis in ihr Herz ausbreitete, als sie sich vom Fenster abwandte und sich in dem Raum umsah. Vergeblich suchte sie nach etwas, mit dem man ein Feuer in dem Kohlenbecken entfachen könnte. Das Zimmer war plötzlich zu kalt, zu dunkel.
Raina hasste die Dunkelheit.
Dunkelheit ließ sie an ihre Mutter denken, ließ die endlosen Tage wieder vor ihr auferstehen, die sie als kleines Mädchen außerhalb des Schlafzimmers ihrer Eltern verbracht hatte, während sie auf das Weinen ihrer Mutter gelauscht hatte. Ihre Mutter war allein in ihrem großen, kalten Zimmer gewesen, die Tür verriegelt, die Läden verschlossen, die schweren Bettvorhänge fest zugezogen. Sie hatte das Essen verweigert und jeden Trost abgelehnt. Und sie hatte sich geweigert, irgendjemandem zu gestatten, ihr in ihrer Verzweiflung beizustehen, ihr einziges Kind eingeschlossen.
Dunkelheit bedeutete für Raina einen Tag im frühen Herbst, als sie fünf Jahre alt gewesen war. Sie hatte mit dem Schmuck ihrer Mutter gespielt und dann ihre Eltern gehört, die früher als erwartet von einem Turnier zurückgekommen waren. Raina war in den Schrank gehuscht, hatte die Tür zugezogen und ganz still in der dunklen Kälte gestanden. Sie hatte die Stimmen gehört, erfüllt von Zorn und immer lauter werdend, als ihre Eltern die Treppe zu ihrem Zimmer heraufgekommen waren. Sie hatte die Tür schlagen hören, hatte den Hass in der überschäumenden Anklage ihrer Mutter gehört: »Ich bin keine Närrin, Luther! Ich weiß, was du getan hast! Um Himmels willen, er war ein unschuldiger Mann!«
Die Stimme ihres Vaters klang verzweifelt, flehend. »Margareth, meine Liebe, verstehst du denn nicht? Wenn ich eines Vergehens schuldig bin, dann nur, dass ich dich zu sehr liebe.«
Das Klirren eines Tongefäßes, das auf dem Boden in tausend Stücke zerschellte, unterstrich das stoßweise Schluchzen ihrer Mutter. »Fass mich nicht an! Du bist ein Ungeheuer, Luther! Ein eifersüchtiges Ungeheuer mit einem schwarzen Herzen, und ich verachte dich mehr als jemals zuvor!«
Raina konnte noch immer das laute Klatschen eines Schlages hören, einer Hand, die auf eine Wange schlug, und die ohrenbetäubende Stille, die darauf folgte. Bis heute wusste sie nicht, wer zugeschlagen hatte oder wer geschlagen worden war. An jenem Abend, nachdem sie das Abendessen zurückgewiesen und sich mit einem Krug Honigwein in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, war ihre Mutter krank geworden.
Am Morgen danach war sie fort gewesen, und ihr Vater, wütend und außer sich, war an diesem Tag zusammen mit seiner Armee fortgeritten.
Der Streit, der von Raina belauscht worden war, hatte für sie niemals einen Sinn ergeben, und voller Furcht, zugeben zu müssen, zugehört zu haben, hatte sie nie den Mut gefunden, ihren Vater danach zu fragen. Es war offensichtlich um eine für ihn sehr schmerzliche und sehr persönliche Angelegenheit gegangen.
Und jetzt musste sie sich der Bedrohung stellen, dass sie auch ihn verlieren könnte. Müde und voller Furcht rollte sich Raina auf Rutledges Decke zusammen und gab dem Impuls zu weinen nach. Irgendwann in den Stunden, die seit seinem Fortgehen vergangen waren, schlief sie ein.
Gunnar saß an dem Tisch der kleinen Lehmhütte, trank Wein aus einem Becher und starrte in die Flammen einer glühenden Kohlenpfanne, die in der Mitte der Hütte stand. Das warme, orangefarbene Licht schien auf das faltige, alte Gesicht des Mannes, der Gunnar gegenübersaß, und malte wütende Farben auf das lange weiße Haar und den brustlangen Bart des Heilers.
»Ich weiß, dass du heute nicht zum ersten Mal hier bist«, sagte Merrick und füllte Gunnars leeren Becher zum vierten oder fünften Mal in den vielen Stunden, seit er bei ihm war.
»Ach ja?«, sagte Gunnar sanft, den der Wein in eine tröstliche Trägheit versetzt hatte, die selbst diese überraschende Mitteilung nicht erschüttern konnte.
»Aye.« Merrick nickte. »Vor einigen Jahren habe ich dich im Wald gesehen, und dann wieder in diesem Frühjahr.«
»Du hast
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