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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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gehört zu Onkels Vorlieben, dass er gern Schmerz sieht. Aber das ist nicht alles. Die Videos sind ein Verkaufsmittel, sie werden dem Kunden als Beweis vorgeführt, damit er sieht, dass die Körperteile von einem lebenden Opfer stammen, denn - und hier gefriert Mossy das Mark in den Knochen - je lauter die Schreie, desto stärker die Medizin...
    »Das Blut, das wir dir abgenommen haben«, gesteht Skinny eines Abends, »davon verkauft er immer nur ein bisschen. Den Rest behält er. Im Kühlschrank.«
    »Scheiße, das ist doch ekelhaft«, sagt Mossy gepresst. »Echt ekelhaft. Was machen die denn mit Menschenblut? Ihr verdammten Vampire.«
    »Sie bewahren es nur auf. Zum Schutz gegen Teufel.«
    »Gegen Teufel?«
    Skinny nickt. Im Zwielicht sehen seine Augen rosarot aus. »Der Onkel schickt einen Teufel los, der allen Angst einjagt.« 

    Er steht vom Sofa auf, kauert sich vor das Gitter und zieht eine Einkaufstüte heraus, die schon den ganzen Nachmittag dagestanden hat - Mossy hat sie zwar gesehen, aber nicht wirklich registriert. In der Hocke packt Skinny sie aus: eine Perücke, ein Paar Stiefel, etwas Glattes, Glänzendes. Im ersten Augenblick glaubt Mossy, es sei ein Arm oder so was. Aber dann hält Skinny es hoch, und er sieht, was es ist: Es besteht aus Holz, ein langes, glattes Ding mit einer geschnitzten Spitze, und das Ganze sieht aus wie ein Pimmel.
    »Scheiße, wofür soll das denn gut sein?« Er stemmt sich mit dem Ellbogen hoch. »Komm mir nicht zu nah mit dem Ding.«
    »Nein, nein«, murmelt Skinny und dreht das Ding schräg ins Licht, »dafür ist es nicht. Es soll Leuten Angst machen. Sie sollen glauben, der Teufel ist da. Dann kaufen sie das Blut.«
    Mossy leckt sich die Lippen und mustert die Stiefel und die Perücke. »Wie jetzt? Lässt er dich in dem Zeug rausgehen? Du schnallst dir das Ding um, gehst raus und ziehst 'ne kleine Show ab? Läuft das so?«
    Skinny weicht Mossys Blick aus. »Nein«, sagte er schließlich. »Nicht ich.«
    »Nicht du. Wer dann?«
    Wieder schweigt Skinny. Er sieht völlig abwesend aus. Als er endlich redet, klingt seine Stimme traurig und nachdenklich. »Mein Bruder.«
    »Dein Bruder?« Mossy richtet sich auf. »Du hast nie was von deinem Bruder gesagt. Wie? Ist er auch hier?«
    »Schau mich an.« Skinny hebt die Hand und wedelt unbestimmt an seinem Körper entlang. »Ich bin klein. Mein Bruder ist auch klein, wie ich, aber noch kleiner.« Er schaut zum Käfig in der Wand, und Mossy kriegt eine Gänsehaut, weil er das Gefühl hat, hinter dem Gitter könnte plötzlich irgendetwas sein Gesicht zeigen. »Aber er«, flüstert Skinny, »ist verändert worden. Böse. Sieht böse aus - hier.« Er fährt mit den Fingern 
    über sein Gesicht. »Und hier.« Er legt sich eine Hand auf den Rücken. »So gemacht. Böse. Wie ein Pavian.«
    Mossy will etwas sagen, aber er hat einen Kloß im Hals und bringt keinen Ton heraus. Bei dem Wort »Pavian«, so leise geflüstert, läuft es ihm eiskalt über den Rücken. Er denkt an das Gefühl, das er manchmal hat: dass sich hier noch jemand befindet, jemand, der nachts kommt und geht. »Dann ist er hier, dein Bruder?«, stammelt er irgendwann. »Hier drin?« Er deutet auf das Käfiggitter. »Schläft er da?«
    Skinny nickt. Eine Weile betrachtet er den Käfig, und dann schaut er zu dem Gitter am Fenster hinüber, das ein Stück aufgebogen ist. Nicht weit genug, um einen Erwachsenen durchzulassen. Aber jemand anderen schon. Jemanden, der so groß ist wie ein Kind, vielleicht.
    Schließlich räuspert und schüttelt Mossy sich und versucht, in die Realität zurückzukehren. »Hier ist es aber anders, weißt du? Hier sind wir in England. Da sind die Regeln anders. Nicht so wie bei euch zu Hause.«
    »Ich weiß.«
    »Das muss dir klar sein. Was ihr hier macht, was ihr schon getan habt, das wird den Leuten nicht gefallen. Kein bisschen.«
    »Ich weiß, ich weiß.« Skinnys Stimme klingt so resigniert, so müde, dass Mossy fast die Tränen kommen. »Und ich weiß, nach allem, was ich hier getan hab, werde ich weglaufen müssen. Weglaufen bis ans Ende der Welt.« 

     
    35
     
    17. Mai
    Die Sonne wanderte langsam über das Tal hinweg. Flea war zu Hause; sie saß in der Gartenjacke ihrer Mutter neben dem offenen Fenster unter der Glyzine und beobachtete, wie die Schatten der Bäume über den oberen Rasen wanderten. Sie hatte immer noch Gift im Organismus; sie fühlte es in der Kehle, merkte es daran, wie die Welt zur Seite kippte. Aber ihr Körper

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