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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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erscheinen und anfangen, jeden zu befragen, der hier in der Gegend arbeitete oder verkehrte. Heute würde es im Hafen von Polizisten nur so wimmeln.
    Er zerknüllte den Kaffeebecher und wollte eben zur Straße gehen, um sein Team zu begrüßen, als er den Motor wieder 
    hörte. Das Boot kam mit hoher Geschwindigkeit zum Ponton zurück. Flea im Bug trug ihre Taucherhaube, aber keine Maske, und starrte auf denselben Teil der Hafenmauer, an dem sie fünf Minuten zuvor entlanggezogen worden war. Als sie näher kamen und Dundas den Motor abstellte, schwang das Heck herum, und das Boot stieß längsseits an die Mauer. Flea beugte sich vor, packte die Sommerfliederäste, die aus der bemoosten Kaimauer ragten, und zog das Boot seitwärts, drückte in regelmäßigen Abständen die Hand gegen die Steine und betrachtete sie stirnrunzelnd.
    »Was gibt’s?« Caffery spähte auf ihren Kopf hinunter, glänzend und dunkel wie der eines kleinen Seehunds. »Was gefunden?«
    »Nein. Mir ist was klar geworden.«
    »Was denn?«
    »Die Zeugenaussage.« Sie atmete jetzt schwer. »Haben Sie sie gelesen?«
    »Nur flüchtig. Sie ist in New Bridewell zu Protokoll genommen worden. Warum?«
    »Ich habe den größten Teil von Ihrem Super im Briefing erfahren. Von Anfang an hat es mich gestört.« Blinzelnd schaute sie an der Hafenmauer entlang. Sie wischte ein paar Algen beiseite, blinzelte wieder und schüttelte dann den Kopf; was immer ihre Aufmerksamkeit erregt haben mochte, war unwichtig. »Es hat mich gestört, dass er die Hand überhaupt sehen konnte. Hat uns alle gestört.«
    Sie schob die Hände weiter an der Mauer entlang und grub die Nägel hinein. Caffery ging ein paar Schritte mit. »Und es stört Sie immer noch?«
    »Gestern war im Wasser null Sichtweite. Ich konnte einfach nicht kapieren, wie er das verdammte Ding sehen konnte.«
    Etwas fiel ihr auf, und sie hielt wieder inne. Sie schwenkte herum, sodass sie auf dem Heck des Bootes saß, und bohrte die Finger in einen der bemoosten alten Steine in der Kai 
    mauer. Sie stemmte die Füße an den Ponton, um das Boot an die Wand zu manövrieren. Dundas hatte einen Festmachhaken gefunden und packte ihn, um das Boot ruhig zu halten. Sie gab ein leises Geräusch der Genugtuung von sich und drückte mit der rechten Hand gegen die Mauer. Caffery beugte sich so weit vor, wie es nur ging, aber er sah nur ihren Kopf, ihre Schultern, ihr seitwärts gewandtes, konzentriertes Gesicht. Ihr Arm war tief in der Mauer verschwunden.
    »Ich habe gefragt, ob es Sie immer noch stört.«
    Sie nickte und blickte starr auf einen Punkt dicht vor ihren Augen. »Ja. Und er hat gesagt, da war niemand…« Sie schob den Arm noch ein Stück weiter hinein. »Er hat gesagt, da war niemand sonst auf dem Kai. Oder?«
    »Soweit ich weiß. Vielleicht ist sie geschwommen.«
    Sie schaute kurz zu ihm hinauf. Blaue Augen, die ihm einen Schock versetzten, weil er erst jetzt bemerkte, dass etwas Wildes in ihrem Blick lag. Sie senkte den Kopf wieder, und er sah nur ihre Taucherhaube und ihren Arm, der sich in die Wand bohrte.
    »Eine Hand allein schwimmt nicht«, sagte sie. »Das geht einfach nicht. Selbst wenn die Verwesung eingesetzt hätte…«
    Sie brach ab, zog ihren Arm aus dem Loch und betrachtete, was sie in der Hand hielt. Es war ein Klumpen von geronnenem schwarzem Schleim mit Blättern und Holzstückchen darin. Sie schmiss das schmierige Zeug auf den Ponton und betastete es flüchtig mit einem Finger. Ihr Gesicht wirkte angespannt von der Anstrengung, sich im Boot aufrecht zu halten.
    Dann warf sie einen Blick hinauf zu Caffery, und wieder blitzte in ihren Augen das blaue Licht. »Selbst wenn die Verwesung eingesetzt hätte, was hier nicht der Fall war, würde eine Hand nicht schwimmen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil sie zu schwer ist. Viele Knochen, wenig weiches Gewebe. Selbst wenn sich genug Gas entwickelt hätte – die Haut 
    ist zerrissen, und das Gas wäre entwichen. Ohne Gas kein Schwimmen.« Sie schob die Hand wieder in das Loch, das sie gefunden hatte. Er konnte es riechen, es war der faule Geruch von Abflüssen und dunklen Orten. Diesmal verschwand ihr Arm bis zur Schulter. Ihr Gesicht war an die Mauer gedrückt, ihre Wange nach vorn gequetscht. »Und das bedeutet entweder, dass er lügt. Oder…«
    »Ja?«
    »Oder sie wurde von irgendeiner Strömung ins Wasser gespült, und er hat zufällig mitgekriegt, wie sie hineinfiel. Gestern Morgen hat es geregnet. Sie könnte also zum Beispiel aus einem

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