Ritus
Auslagen für das Mädchen zu bezahlen, das von Euch Florence genannt wird.« Sie schluckte nervös.
Gregoria ahnte, was die Frau ins Kloster getrieben hatte, ließ ihr aber Zeit und drängte sie nicht weiter. Sie nahm den Beutel mit den Münzen, zog ihn zu sich und öffnete ihn. Gold blitzte auf. »Das ist zu viel«, sagte sie und hob die Augen.
»Es ist für die kommenden Jahre. Ich weiß nicht, ob ich noch die Möglichkeit haben werde, Geld nach Saint Grégoire zu senden.« Sie schluckte. »Ehrwürdige Äbtissin, ich möchte sie sehen, bevor … Ist sie hier? Meine … Tochter?«
Gregoria versuchte, im Gesicht der Frau zu lesen. Louise Dumont hatte Angst, unglaubliche Angst. Aber wovor? Sie musste erst mehr darüber in Erfahrung bringen, bevor sie ihrem Mündel diese Begegnung zumuten konnte. Der Herr allein wusste, wie das Mädchen auf diese Begegnung reagieren würde! »Florence ruht sich von der Arbeit aus«, log sie. »Wenn Ihr warten möchtet, Madame Dumont, werde ich Euch ins Pilger …«
»Nein, nein. Das ist nicht notwendig. Ich darf nicht lange bleiben.« Sie kniff die Lippen zusammen, langte in ihre Tasche, die sie unter dem Arm trug, und nahm einen Brief hervor. »Dieses Schreiben ist für meine Tochter. Sie soll es lesen, sobald sie erwacht ist. Es geht um ihre Zukunft, die besser sein kann, als sie es sich jemals erträumte.« Sie schob den Umschlag zu Gregoria. »Wenn sie den Schritt wagen möchte.«
»Wollt Ihr es ihr nicht selbst sagen?«
»Nein!«, wehrte Madame Dumont rasch ab, beinahe entsetzt.
»So wird sie mich sicherlich fragen, was sie tun soll.« Gregoria nahm den Brief.
Die Frau legte ihre Hand auf die Rechte der Äbtissin. »Lest ihn erst, wenn meine Tochter Euch darum bittet. Keinesfalls vorher. Sobald Ihr das Wissen teilt, seid Ihr … nicht weniger in Gefahr als ich.« Hastig stand sie auf, schluckte und versuchte, die Fassung zu bewahren. »Glaubt mir, ich meine es gut mit dem Kind. Wenn sie sich entscheidet, den Schritt zu wagen, sendet sie mit dem Brief nach Saint-Alban, zum Schloss des alten Comte de Morangiès.« Sie bekreuzigte sich und schritt zum Ausgang, die Absätze ihrer Schuhe klapperten laut auf den Dielen.
Gregoria hieß diese Art der Geheimnistuerei nicht gut. Sie erhob sich. »Madame Dumont, wartet! Erklärt mir, was es damit auf sich hat und warum Ihr nicht bleiben könnt.«
»Ich werde versuchen, bald wiederzukommen. Dann reden wir.« Die Besucherin verschwand hinaus.
Gregoria ging zur Tür und sah die Dame zur Pforte hinaus eilen. Davor erkannte sie eine dunkle Kutsche, die auf sie gewartet hatte. Kaum saß Madame Dumont darin, rollte das Gefährt davon.
Gregoria wunderte sich sehr. Sie kehrte grübelnd an den Tisch zurück, schob Brief und Münzen zur Seite und wagte es nicht, das Siegel auf dem Umschlag zu brechen. Florence sollte die Zeilen als Erste lesen. Sie bat Gott, dass die Gefahr, von der ihre Mutter gesprochen hatte, nicht so dramatisch war, wie es geklungen hatte.
Es waren merkwürdige Umstände, unter denen Madame Dumont gekommen war, um zum ersten Mal in all den Jahren nach ihrer verschmähten Tochter zu fragen. Warum hatte sich ihr schlechtes Gewissen erst jetzt geregt?
Gregoria brannten viele Fragen auf der Zunge. Jeder im Kloster ahnte, dass Florence die uneheliche Tochter eines Adligen sein musste – die regelmäßigen Zahlungen hatten dies nur zu deutlich gemacht. Dabei war Gregoria aber immer von einer Affäre mit einem einfachen Bauernmädchen ausgegangen. Wenn sich auch ihre Mutter eine Kutsche und eine so große Summe in Goldmünzen leisten konnte, musste wohl etwas anderes dahinter stecken.
Sie bezweifelte, dass der wahre Name der Dame Dumont lautete. Die Erwähnung des hoch geschätzten Comte de Morangiès schürte dagegen die Vermutung, dass es sich bei Florences Mutter um eine Adlige handelte, die dem alten Lieutenant General mindestens einmal sehr nahe gekommen war. Zum Zeitpunkt von Florences Geburt war der Comte aber bereits seit vielen Jahren mit der Marquise de Châteauneuf-Randon verheiratet gewesen. Sehr delikat.
Gregoria zwang sich dazu, nicht mehr zu spekulieren und dem Comte Dinge zu unterstellen, die gegen die heiligen Gebote verstießen. Da sie ohne Kenntnis des Inhalts nichts weiter mit dem Schreiben anfangen konnte, setzte sie die Untersuchung der abgegebenen Kleidung fort.
Sie versuchte, anhand der Größe auf die Statur des vermissten Besitzers zu schließen. Er war gewiss kein Riese und nicht mit breiten
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