Rivalen der Liebe
ihr Lebensunterhalt standen mit jedem Wort, das sie aufs Papier brachte, auf dem Spiel. Sie war eine Lady, aber sie war ganz bestimmt kein müßiges Mädchen aus besseren Kreisen.
Irgendwann während der vorangegangenen Ereignisse hatte Roxbury begonnen, sich in sie zu verlieben. Vielleicht war der erste Same schon gepflanzt worden, als sie sich das erste Mal küssten oder den ersten Walzer miteinander tanzten. Vielleicht hatte er ihr das sagen wollen, als er in jener Nacht für sie schmutzige Lieder vor ihrem Fenster sang. Die Entscheidung, sie zu verführen, hatte er schon viel früher getroffen, und es war weniger eine aktive Entscheidung als vielmehr das Fügen in sein Schicksal.
Und was nun die Hochzeit und das Geld anging … Ja, es stimmte, er hatte sie des Geldes wegen geheiratet. Aber ebenso war da die unbestreitbare Tatsache, dass er sich schon vorher in seine Ehefrau verliebt hatte.
Der Planet schien sich weiterzudrehen, trotz dieser bahnbrechenden Erkenntnis, und Simon wusste auch nicht, ob die Sterne sich neu angeordnet hatten oder nicht. Sein Herz hämmerte nicht, und ihm stockte nicht der Atem. Aber er fühlte sich irgendwie anders – sehr sicher und stark. Und er hatte Angst. Gab es überhaupt einen Mann, der ihrer Liebe wert war?
Julianna war eine atemberaubende, zielstrebige, revolutionäre Frau, die Geschichte schrieb. Und er? Er war nur ein reicher, nichtsnutziger Lebemann, der eine skandalöse Frau um des Geldes willen geheiratet hatte. Und weil er seine Eltern ärgern wollte.
»Wo wart Ihr heute den ganzen Tag?«, fragte sie unvermittelt und sah ihn mit ihren großen Augen an. Er aber hörte die Jahre der Einsamkeit in ihrer Stimme. All die Jahre, in denen sie sich immer wieder gefragt hatte, wo ihr Ehemann war, mit welcher Nebenbuhlerin er gerade zusammen war und in welchen Schwierigkeiten er wieder einmal stecken mochte. Somerset hatte seinen Teil zu ihrem Überdruss beigetragen. Und beim Blick in Juliannas traurige Augen beschloss Roxbury, ihr nicht noch mehr Kummer zu bereiten.
Wie gut gelang es ihr wohl, zwischen ihm und Somerset in ihrem Verstand und ihrem Herzen zu unterscheiden? Roxbury vermutete, dass es nicht besonders viel sein konnte. Plötzlich konnte er alles in einem ganz anderen Licht sehen.
Er nahm sich daher ihre Anschuldigungen nicht allzu sehr zu Herzen. Ihm war jetzt klar geworden, dass er mit der Eheschließung eine Aufgabe übernommen hatte: Er musste und wollte sie davon überzeugen, dass er nichts mit Somerset gemeinsam hatte. Dass er sie nicht enttäuschen würde. Und dass sie bei ihm sicher war.
»Ich war heute nicht mit einer Frau zusammen«, sagte Simon schlicht, weil er wusste, dass er schnell etwas zu ihrer Beruhigung beitragen musste. Wo er tatsächlich gewesen war, wollte er ihr jedoch nicht sagen, wenn es sich vermeiden ließe.
Noch nicht.
»Wart Ihr etwa mit einem Mann zusammen?«, fragte Julianna und blinzelte ihn keck an. Er erkannte, dass sie ihn damit nur necken wollte. Zumindest großteils.
»Nein. Und Ihr wisst genauso gut wie ich, dass ich an jenem Abend auch nicht mit einem Mann zusammen war. Oder an irgendeinem anderen Abend«, sagte er und legte seine Hand auf ihre.
»Ja, ja, ich weiß schon«, murmelte Julianna und lachte leise. »Ihr seid ein heißblütiger Mann mit einem unstillbaren Appetit, der die Frauen am liebsten den ganzen Tag lieben würde und am besten noch die ganze Nacht.«
»Glaubt Ihr mir etwa nicht?«, fragte Roxbury. »Soll ich es Euch vielleicht beweisen?«
»Oh, ich glaube Euch«, antwortete sie schnell. »Ich brauche keine Beweise.«
»Ach, Liebste …«, murmelte er und musste grinsen. Er legte den Arm um ihre Schulter, und sie brach in Gelächter aus, in das er erleichtert einfiel.
Julianna entzog sich ihm nicht.
Er bemerkte stattdessen, wie sie ihm heimlich unter gesenkten Lidern prüfende Blicke zuwarf.
Aus jahrelanger Erfahrung wusste Roxbury, wann der richtige Moment für einen Kuss gekommen war. Dennoch war er in diesem Moment so nervös wie ein Schuljunge. Als wäre es sein erster Kuss. Als hätte dieser Kuss etwas zu bedeuten. Sie saßen dicht beisammen auf dem Sofa in seinem Salon, und er hatte den Arm um sie gelegt. Die Vorhänge waren geschlossen, und die wenigen Kerzen brannten langsam herunter.
Logik und Vernunft ließen ihn auch in diesem Moment nicht im Stich: Roxbury wusste ganz genau, warum er nervös war. Er liebte sie, und sie waren verheiratet. Vor allem aber machte ihn nervös, dass er
Weitere Kostenlose Bücher