Roarke - der Abenteurer (German Edition)
bei dem Wort “Sumpf” an Schlangen, feuchtschwüle Luft und Krokodile. Trotzdem hatte Roarke auf all seinen Reisen um die Welt nie einen so schönen Ort gesehen wie Louisianas Bayous mit den riesigen Wäldern. Tausende von Vögeln lebten in diesem Ökosystem, und im Frühjahr verschwanden unzählige Seen unter den herrlichsten Seerosenblüten.
Sosehr er die Großstadt liebte, wahren Frieden verspürte er doch nur am Atchafalaya River. Sein Onkel hatte ihn zum ersten Mal zum Jagen dorthin mitgenommen.
“Wenn ich daran denke, was hier draußen Schreckliches passiert ist, sollte ich Angst haben”, überlegte Daria laut, während sie durch das riesige Sumpfgebiet fuhren.
Vor einer Stunde hatten sie New Orleans verlassen. Seither hatte Daria geschwiegen.
“Aber?” hakte Roarke nach.
“Aber die Schönheit der Landschaft beruhigt mich.”
“Das Bayou liegt nicht jedem.”
“Und das ist gut so. Als wir über die Brücke fuhren, erinnerte ich mich an etwas. Ich hatte einmal einen Mordfall, in dem der Verdächtige aus Houma stammte. Damals verbrachte ich viel Zeit hier draußen und verliebte mich.”
“Hoffentlich nicht in den Verdächtigen.”
“Nein, in das Land”, erwiderte sie lächelnd. “Es ist keine Liebe, die einen wie ein Blitz trifft. Sie ergreift einen langsam und füllt eine innere Leere aus, die einem vorher gar nicht bewusst war. Als ich das Bayou verließ, blieb ein Stück von mir zurück. Tut mir Leid”, fügte sie hinzu, “das klingt hoffnungslos romantisch, aber …”
“Es stimmt.”
Roarke geriet in Versuchung, sie auf der Stelle zu bitten, ihn zu heiraten. Sie war einfach perfekt. Wenn er sich noch retten wollte, musste er bei ihr einen Fehler finden.
“Die Touristen steigen in die Ausflugsboote, sehen einige Biberratten, der Führer füttert ein Krokodil mit Hühnerfleisch, dann essen sie gekochte Krebse mit Tabasco-Soße und glauben, sie wären im Bayou gewesen. Aber so geht das nicht. Man kann nicht hinfahren, schnell ein paar Schnappschüsse machen und dann die nächste Plantage, das Französische Viertel oder Elvis’ Grab in Memphis besichtigen. Das Bayou muss man erwandern.”
“Vielleicht liebst du es gerade deshalb”, bemerkte Daria. “Ich meine, weil man dort wandern muss. Und wenn man sich deine Karriere ansieht, so bist du ein Mann, dem das Wandern im Blut liegt.”
“Du bist genau wie dein Vater.” Wie oft hatte er seine Mutter das sagen hören? Doch Roarke kannte einen Unterschied. Patrick O’Malley zog noch immer durch die Welt und schoss Fotos, die ihm den Pulitzer-Preis eintrugen. Sein zweitältester Sohn dagegen war es allmählich leid, hinter etwas herzujagen, das man nie erreichen konnte.
“Du könntest Recht haben”, sagte er nur, weil er nicht über seine Zweifel sprechen wollte, und schaltete das Radio ein.
Daria verstand von dem melancholischen Cajun-Song zwar nur die Hälfte, aber es ging um eine tragische Liebe. Da sie schon deprimiert genug war, atmete sie erleichtert auf, als ein fröhlicheres Lied folgte.
Zwischen Reisfeldern fuhren sie immer tiefer ins Bayou hinein. Da sich hier die Landschaft ständig veränderte, staunte Daria, wie Roarke überhaupt den richtigen Weg fand.
Sie kamen an einem Friedhof vorbei, dessen Gräber oberirdisch angelegt waren, damit die Toten nicht vom Grundwasser hochgedrückt wurden. Ein Sonnenstrahl glitzerte auf dem abgebrochenen Flügel eines Engels und löste eine Erinnerung aus.
“Roarke!” Sie packte ihn so fest am Arm, dass er beinahe von der schmalen Straße abgekommen wäre.
“Was ist?”
“Ich habe mich soeben an etwas erinnert.”
Er hielt am Straßenrand und stellte den Motor aus. Offenbar erfüllte sich seine Hoffnung, dass diese Fahrt ihrem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge helfen würde.
“Nachdem ich dich vor dem Hotel abgehängt hatte, lief ich durch das Französische Viertel zum Armstrong Park. Dort hat mich ein Mann mit einer Henkersmütze überfallen.”
“Ich erinnere mich an den Kerl.” Roarke ballte die Hände zu Fäusten. Der Mann war an ihm vorbeigelaufen.
“Er zerrte mich auf den Friedhof und drohte, mich ins Bayou zu bringen. Mir war klar, dass er mich töten wollte. Also bot ich ihm etwas an, um ihn umzustimmen.”
“Und was?” Roarke hoffte, endlich zu erfahren, was die Kerle in ihrem Haus gesucht hatten.
“Mich.”
“Dich?” fragte er fassungslos. “Hast du den Verstand verloren?”
“Was blieb mir denn anderes übrig?” verteidigte sie sich.
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