Roarke - der Abenteurer (German Edition)
den ersten Blick schienen sie und Roarke die einzigen Lebewesen zu sein. Doch dann bemerkte sie Silberreiher, die zum Frühstück Fische fingen, während in der Nähe Rehe friedlich grasten. Zwei Biberratten schwammen so dicht an ihr vorbei, dass sie die beiden hätte berühren können. Neben der Hütte lief ein Eichhörnchen über eine Zypresse. Enten ließen sich dahintreiben, Ochsenfrösche quakten.
“Das ist es fast wert”, sagte sie leise.
Roarke öffnete die Fliegengittertür und kam auf die Veranda heraus. “Was ist es wert?”
“Dass ich jetzt hier an diesem herrlichen Ort bin, entschädigt mich fast für alles, was mir in den letzten Tagen zugestoßen ist.” Lächelnd blickte sie zu ihm hoch. “Und dass ich mit dir hier bin, macht alles noch schöner.”
Er wusste genau, was sie meinte, weil es ihm auch so erging. Trotzdem musste er sie daran erinnern, dass sie nicht im Urlaub waren.
“Das Bayou hat keine Erinnerungen an den Mord ausgelöst, den du gesehen hast?”
Sie seufzte. Auch wenn es richtig war, dass er auf den Grund ihres Aufenthalts zurückkam, wollte sie sich die angenehme Stimmung noch nicht verderben lassen. “Wie kann ich mich an etwas so Schreckliches erinnern, wenn ich nur daran denke, wie wundervoll ich mich bei dir gefühlt habe?” fragte sie leise.
Spätestens jetzt hätte er die Flucht ergreifen müssen, doch er setzte sich in einen knarrenden Korbsessel und legte seine Füße neben Darias auf das Geländer. Während er einem Waschbären beim Fressen zusah, malte er sich aus, dass er für immer mit Daria hier bleiben könnte.
“Ich werde aus dir nicht schlau”, stellte er fest.
“Ich habe nichts zurückgehalten”, erwiderte sie überrascht. “Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern.”
“Das werfe ich dir auch nicht vor.” Er wandte den Blick nicht vom Wasser. “Aber du wirkst so offen. Und ich denke, ein Vertreter der Anklage muss seine – oder ihre – Karten verdeckt halten.”
Sie überlegte eine Weile. “Vielleicht hat mich das in Schwierigkeiten gebracht.”
“Das denke ich auch.” Er konnte ihr nicht widerstehen und streichelte ihren Schenkel unter den schwarzen Leggings. “Ich habe auch schon überlegt, ob es außer dem Streifschuss noch etwas anderes gab, wodurch dein Gedächtnis blockiert wurde.”
“Wie meinst du das?”
“Vielleicht hast du etwas dermaßen Traumatisches miterlebt, dass dein Verstand damit nicht fertig wurde.”
“Mord ist hässlich”, versicherte sie. “Aber ich hatte täglich damit zu tun.”
“Mike überprüft übrigens die Fälle, die du in den letzten Monaten bearbeitet hast. Vielleicht findet er heraus, ob du mächtigen Leuten auf die Zehen getreten bist. Wenn es eine Spur gibt, wird er sie finden.”
“Aber wie erfährst du es?” Das Funktelefon war im Lieferwagen fest eingebaut, und hierher hatte man keine Telefonleitung verlegt.
“Einige Meilen entfernt gibt es einen Laden für Anglerbedarf. Mit dem Boot sind es ungefähr zwanzig Minuten. Von dort aus kann ich Mike anrufen und auch mein Laptop-Modem anschließen. Er hat mir versprochen, dass er mir Akten per Computer schickt.”
“Michael können wir ja wohl vertrauen”, stellte sie mit einem fragenden Unterton fest.
“Absolut”, bekräftigte er.
Daria nickte. “Du hast Glück, solche Brüder zu haben.”
“Davon war ich auch stets überzeugt, sofern sie mich nicht gerade verprügelt haben.”
“Sie haben dich verprügelt?”
“Als Jugendliche haben wir uns ständig geschlagen. Das war keine große Sache.”
“Wahrscheinlich ist das typisch für Jungen.”
“Wahrscheinlich”, bestätigte er lächelnd.
Eine Weile genossen sie schlicht das Beisammensein. Als sich ein Boot näherte, spannte Roarke sich an.
Daria wollte schon aufspringen, als er sagte: “Keine Angst, das ist nur mein Onkel Claude, der seine Fallen kontrolliert.”
“Seine Fallen?”
“Jetzt ist die Krebssaison. Nach dem Wasserstand zu schließen wird es ein gutes Jahr. Onkel Claude hat Glück. Mike hat mir erzählt, dass Tante Evangeline ihr sechstes Kind erwartet.”
“Das sind viele hungrige Mäuler, die gestopft werden müssen.”
“Dafür braucht man viele Krebse”, erwiderte Roarke. “Aber Claude arbeitet als Ingenieur in der Ölbranche und kommt gut zurecht.”
“Sicher. Er muss die Kinder ja auch nicht zur Welt bringen”, bemerkte Daria.
“Stimmt.” Roarke winkte dem Mann in dem karierten Hemd zu. Er winkte zurück. “Und was ist mit dir?”
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