Robbins, Harold - Träume
du morgen die Bücher durch?«
»Murtagh sagte, es würde alles für mich bereit sein.«
»Okay. Halte Augen und Ohren offen. Wenn dir irgend etwas aufstößt, selbst wenn es noch so trivial erscheint, dann sag mir Bescheid.«
Als wir das Hauptgebäude betraten, warteten Dieter und sein Vater bei der Bar. Der alte Graf, Anfang Sechzig, war schlank und kaum kleiner als sein Sohn. Er hatte kurzgestutztes, eisengraues Haar, scharfe und harte blaue Augen und auf der linken Wange eine Narbe, vermutlich ein »Schmiß« aus Studententagen. Hätte er ein Monokel getragen, so wäre er einer jener Gestalten, wie man sie aus den Filmen der 40er Jahre kannte, zum Verwechseln ähnlich gewesen.
»Ich freue mich sehr, Sie kennzulernen, Mr. Brendan«, sagte er. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«
»Gutes, hoffe ich.«
Er lächelte. »Natürlich. Hier hören wir nur auf das Gute, das man uns über andere erzählt.«
»Nur so läßt sich leben«, sagte ich. Meine Bemerkung schien für ihn verloren. Zumindest reagierte er nicht darauf. »Im übrigen vielen Dank. Die Unterbringung ist ganz vorzüglich und der Service offenbar auch.«
»Das Vergnügen ist auf unserer Seite. Ich hoffe nur, daß Sie genügend Zeit haben werden, um alles ausgiebig genießen zu können.«
»Ich werde mich bemühen.«
Marissa trat auf uns zu, und ich sah, daß seine Augen aufglänzten. Das indianisch aussehende Mädchen, das ich am Nachmittag kennengelernt hatte, schien sich aufgelöst zu haben, und an ihre Stelle war eine hochgewachsene, aristokratisch wirkende Dame in einem langen, enganliegenden weißen Kleid getreten, zu dem die braune Haut und das über die Schultern fallende schwarze Haar überaus wirkungsvoll kontrastierten.
Sie küßte ihn auf die Wange. »Meine Nichte, die Baroneß Marissa«, sagte er stolz.
»Wir haben uns bereits kennengelernt«, informierte sie ihn und reichte mir die Hand. »Mr. Brendan.«
»Baroneß«, sagte ich lächelnd.
Sie ließ meine Hand los und wandte sich den anderen zu. Wenig später folgten wir dem Grafen hinaus in den Patio, wo unter einem großen Baum eine gedeckte Tafel auf uns wartete. Marissa saß zwischen dem Grafen und mir, und ich war nicht ganz sicher, ob der Duft, den ich roch, von ihr kam oder aber vom nahen Garten.
Das Essen war in seiner Art recht europäisch, sehr förmlich und sehr langweilig. Man machte Konversation. Im Gegensatz zu uns, die wir vor lauter Steifheit fast umkamen, hatten Bobby, seine Gehilfen und die Mädchen offenbar ihren Mordsspaß. Von ihrem Tisch, der ein Stück entfernt stand, klang lautes Gelächter herüber.
Lonergan und der alte Graf schienen ausgezeichnet miteinander zurechtzukommen. Vielleicht war ihr Alter ein gemeinsames Band. Lonergan jedenfalls genoß unverkennbar das Essen und auch die Geschichten, die der Graf zu erzählen wußte. Ich meinerseits langweilte mich so, daß ich es schließlich nicht mehr aushielt und mich, Kopfschmerzen vorschützend, in den Bungalow zurückzog.
Dort setzte ich mich in den Patio und blickte zum Nachthimmel empor. Noch nie, so schien mir, hatte ich so viele Sterne gesehen.
Ich hörte ein leises Quietschen. Es kam vom schmiedeeisernen Tor. Wie eine sanfte Wolke schwebte Marissas weißes Kleid durch die Dunkelheit. »Ich komme, um zu sehen, wie es Ihnen geht«, sagte sie.
»Ich wußte nicht, daß Sie eine Baroneß sind.«
»Bin ich eigentlich auch nicht. Doch es bereitet meinem Onkel nun einmal großes Vergnügen, mich als Baroneß vorzustellen. Mein Onkel ist sehr altmodisch.«
»Wie ist er in diese Sache hineingeraten? Scheint zu einem Mann seines Typs so ganz und gar nicht zu passen.«
»Er hatte das Gefühl, daß er irgend etwas unternehmen mußte. Alles Land hier gehört ihm. Und die Regierung drohte dauernd damit, ihn zu enteignen und das Land unter den campesinos aufzuteilen, falls nicht irgend etwas sonst geschähe.«
»Das ist doch noch kein Grund, dreißig Millionen Dollar quasi den Hunden zum Fraß vorzuwerfen.«
»Nun, er selbst investierte das Land und ungefähr sechs Millionen. Die Behörden brachten zehn Millionen auf, und der Rest kam von privaten Investoren.«
»Wer sind die?«
»Das weiß ich nicht.«
»Mexikaner oder Ausländer?«
»Auch das weiß ich nicht.«
»Er hätte sich vielleicht lieber ein paar Leute aus Las Vegas holen sollen.«
Sie schwieg.
Ich deutete auf den Sessel neben mir. »Kommen Sie, setzen Sie sich doch.«
Sie rührte sich nicht von der Stelle.
»Sind Sie aus freien
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