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Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
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jedenfalls, daß Steve im Juli seines Abiturjahrs voll in der Scheiße saß.
    Eine ziemlich typische Aufnahme, die wir von Steve haben, zeigt ihn in einer engen schwarzen Jeans und einem schwarzen AC/DC-T-Shirt mit Totenkopf. Vom Standpunkt der herrschenden Mode betrachtet, fanden wir das ziemlich cool. Auf dem Foto steht er vor dem Haus seiner Mutter, wo er zur Zeit von Lucys Ermordung wohnte, und wartet auf den Postboten (Exponat F36 SW). Es zeigt ihn leicht im Profil. Sein Mund ist halb geöffnet, als schmecke er die Salzluft. Schaut man genau hin, sieht man seinen abgeschlagenen Schneidezahn. Steve besuchte nie mehr eine andere Schule, nachdem er von unserer geflogen war, und soweit wir wissen, hat er nie einen Job bekommen. Womit er seine Zeit verbrachte, war häufig Thema unserer Überlegungen.
    Niemand konnte den Beweis erbringen, daß Lucy und Steve Weldon je zusammen gesehen worden waren, doch in unseren Augen schloß das eine heimliche Beziehung der beiden keineswegs aus. Roy Moynahan ging sogar so weit, zu behaupten, es sei verdächtig, daß kein Mensch die beiden je zusammen gesehen hatte, und damit fast schon der Beweis, daß sie tatsächlich miteinander gingen. Doch das war für die meisten von uns zuviel der Spekulation. Daß Steve der coolste Typ auf The Spit war, reichte völlig, ihn auf unsere Liste zu setzen.
    Wir gingen zwar auch den anderen Jungs auf der Boyfriend-Wand weiter nach, aber im Laufe der Wochen konzentrierten wir uns doch mehr und mehr auf Steve Weldon. Nicht etwa, weil er sich wie ein Mörder benahm – in seinem alltäglichen Verhalten war er ebenso unverdächtig wie jeder andere –, sondern weil er uns schlicht faszinierte. Steve, so fanden wir bald heraus, führte ein Leben, das von unserem total verschieden war.
    Ende März bis Anfang April machten wir fast sechzig Fotos von Steve Weldon. Die meisten davon sind banal. Er steht hinter seinem Haus unter dem Dach und raucht eine Zigarette (er verbrauchte eine Schachtel pro Tag), ißt Eis, sitzt auf einer Wippe auf einem leeren Spielplatz, pinkelt auf einem seiner ziellosen Spaziergänge in den Dünen an eine Lupine. Wir erkannten, daß seine Tage zum größten Teil leere Räume waren, die darauf warteten, gefüllt zu werden. Das Leben ohne Schule bestand aus einer Reihe ineinander übergehender Abschweifungen und kleineren Aufgaben im Haushalt.
    Es gab nur zwei Dinge, die Steve aufleben ließen. Das erste war sein Motorrad. Er fuhr eine alte Triumph, die er selbst wartete. Das Garagentor der Weldons stand fast immer offen, auf dem Boden lagen die ölglänzenden Innereien von Steves Motorrad. Wir hatten den Verdacht, daß er es auch auseinandernahm, wenn es anstandslos lief, nur um seine langen, leeren Tage zu füllen. Wenn es nicht gerade in seine Einzelteile zerlegt war, schwang er sich abends meist auf sein Motorrad und brauste davon. Mit auf heulendem Motor schoß er aus der Einfahrt, und das Motorengeräusch wurde immer schwächer, bis es im Meeresrauschen unterging. Wir waren abends nie lange genug in seiner Gegend, um ihn heimkommen zu sehen.
    Überraschenderweise war die andere Tätigkeit, die Steve Spaß machte, das Kochen. Sein Vater war mit 42 Jahren (also in unserem jetzigen Alter) an einem Herzinfarkt gestorben. Seine Mutter war eine aufgedunsene Frau mit Mopsgesicht, die aus großen Klumpen weißen Teigs konstruiert zu sein schien. Sie arbeitete bis spät als Putzfrau, aber wenn sie dann nach Hause kam, hatte Steve eine Mahlzeit auf dem Tisch. Und nicht nur Fleisch mit drei Beilagen, das Standardessen auf The Spit. Steve Weldon servierte seiner Mutter regelmäßig Fettucine, Lasagne, Crêpes Suzette und mit Aprikosen gefüllte Hühnerbrust. Er bereitete exotische Gerichte für sie in einer Zeit, da die meisten Männer nicht einmal ein Ei kochen konnten und sogar unsere eigenen Mütter Wan Tan für eine Stadt in China hielten.
    »Klar habe ich gewußt, daß ihr mich beobachtet, aber es war mir egal.« Unser Gespräch mit Steve fand im April 1989 statt, nach seiner Rückkehr von einem kurzen Arbeitsaufenthalt in London. Wir fragten ihn, wohin er abends mit seinem Motorrad gefahren war. »Ich bin einfach gerne gefahren, wenn die Straßen frei waren. Manchmal nach Süden bis Ashburton oder nach Westen bis Hanmer. Einmal bin ich sogar bis nach Nelson gefahren, habe dort vor der Kathedrale umgedreht und bin erst spätnachts wieder zu Hause gewesen. Nur so. Um was zu tun.«
    Wir observierten das Haus der Weldons auch an dem

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