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Roemisches Roulette

Roemisches Roulette

Titel: Roemisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Caldwell
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die großen Gerbera, Pastellblau für den Himmel. Als Nick um sieben nach Hause kam, arbeitete ich schon seit drei Stunden an dem Bild. Ich hatte Kit beinahe wieder zum Leben erweckt.
    “Was ist denn hier los?”, fragte Nick.
    Ich antwortete nicht sofort. Wie auch? Ich hatte Kit irgendwann verachtet, mich vor ihr gefürchtet, und dennoch wollte ich sie offenbar auf gewisse Weise wieder lebendig machen. Dann wären weder Nick noch ich für ihren Tod verantwortlich.
    Nick stellte sich hinter mich und legte mir schweigend eine Hand auf die Schulter.
    Mit dem Pinsel zeigte ich auf das Foto. “Ich bekomme ihre Augen einfach nicht hin. Du weißt doch, wie violett sie manchmal sind. Und erst recht, wenn sie ein lilafarbenes Kleid trägt. Dann wären ihre Augen auf jeden Fall violett, meinst du nicht auch?”
    Wieder Stille. “Rach, du sprichst von ihr als wäre sie noch am Leben.”
    “Na ja, das ist sie ja auch. Hier und jetzt.” Ich wusste selbst nicht, wie ich das meinte. Ich wusste nur, dass ich mich in den letzten Stunden während der Bearbeitung des Bildes gut gefühlt hatte. Doch jetzt war ich fast fertig, und Nick hatte den Zauber gebrochen.
    Er nahm mir den Pinsel aus der Hand und legte ihn vorsichtig auf den Tisch. “Lass uns was essen gehen.”
    “Du willst ausgehen?” Noch immer starrte ich auf Kits Gesicht.
    “Nur in die Brasserie um die Ecke. Du brauchst frische Luft.”
    “Ich könnte ja auch auf dem Balkon etwas frische Luft schnappen.” In meiner Stimme schwang ein hysterischer Unterton mit.
    Ich blickte zu Nick und sah seine gekräuselte Stirn.
    “Wieso siehst du mich so an?”, fragte ich mit zu lauter Stimme. “Mein Gott, Nick, wie kannst du nur so kalt sein? Warum bist du nicht genauso neben der Spur wie ich?”
    Ein ungläubiger Ausdruck huschte über sein Gesicht. “Das
bin
ich, Rachel. Glaubst du vielleicht, ich hätte in letzter Zeit geschlafen? Glaubst du, ich könnte seit dem Vorfall an irgendetwas anderes denken?”
    “Ich habe das Gefühl, bei dir ist alles schon wieder wie vorher.”
    Seine Miene wurde weicher. “Baby, ich gebe mir Mühe. Nichts wäre mir lieber, als wenn wir wieder wie zuvor leben könnten. Ich wünsche mir das für uns beide. Du etwa nicht?”
    Ich nickte, flüsterte ein Ja, vergoss eine einzelne Träne. Meinen anderen Gedanken verschwieg ich ihm.
Wie sollen wir jemals wieder wie vorher leben? Nach all dem, was geschehen ist? Nach allem, was du getan hast?
Denn ich war längst nicht mehr sicher, was an jenem Abend wirklich geschehen war.
    Nick wischte mir mit dem Daumen die Träne aus dem Gesicht. “Ich liebe dich.”
    “Ich liebe dich auch.” Wenigstens dessen war ich mir sicher.
    “Dann geh mit mir einen Happen essen. Lass uns raus aus dieser Wohnung.”
    “Danke”, erwiderte ich. “Du hast recht.”
    Ich zog meine Malerjacke aus – einen alten Laborkittel von Nick – und ohne einen weiteren Blick auf das Foto zu werfen, ließ ich mich von meinem Mann nach draußen führen – fort von Kit.
    Auf der Beerdigung am Freitag bekam ich noch mehr Fotos von Kit zu sehen. Es war kalt und sonnig, als wir unseren BMW auf den kleinen Friedhofsparkplatz lenkten. Seit Jahren, vermutlich seit mehr als einem Jahrzehnt, war ich nicht mehr an einem solchen Ort gewesen. Es kam mir gruselig vor, dass ich nun wegen Kits Beisetzung hier war und nicht mit ihr auf das Begräbnis ihrer Mutter ging.
    Nick stellte den Motor ab. Einige Grabsteinreihen entfernt sahen wir Kits Mom in einem Rollstuhl sitzen. Neben ihr waren mir unbekannte Frauen damit beschäftigt, vier großformatige und auf Staffeleien aufgebaute Fotografien von Kit rund um das offene Grab zu arrangieren. Neben dem Grab stand auf einem kleinen Podest und mit grellgrünem Kunstrasen bedeckt ein Sarg. Kits Sarg.
    Wie stiegen aus und gingen langsam auf die Grabstelle zu. Ich löste den Blick von dem Sarg und starrte stattdessen auf die Fotos – professionelle Studioaufnahmen, offenbar während Kits Zeit in L.A. aufgenommen. Auf einem waren ihre Haare wild auftoupiert und sie lachte mit offenem, verführerischem Mund. Das zweite zeigte sie in einem Abendkleid, ein weiteres in Jeans und kurzem Jäckchen, die Arme um ihre Knie geschlungen. Das vierte Foto war ein Porträt von Kit. Darauf war ihr Haar geglättet und streng zurückgebunden. Eine Blüte, die so dunkelrot war, dass sie fast schwarz erschien, klemmte hinter ihrem Ohr. Das Augen-Make-up war dunkel und verrucht, ihr Mund leicht geöffnet. Durch die

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