Rolf Torring 124 - Die Ratten von Peking
unerwartet eine so günstige Gelegenheit bot, ließ ich Sie durch unsern schwarzen Freund zu einer sofortigen Unterredung einladen."
„Eine etwas merkwürdige Art der Einladung, meine Herren," waren des jungen Fürsten erste Worte. „Haben Sie meinen Brief erhalten?"
„Gewiß. Sonst hätte ich ja keine Ursache gehabt, Sie im Hotel besuchen zu wollen. Erzählen Sie nun, was Sie auf dem Herzen haben!"
„Ich will Frieden mit Ihnen schließen, wenn Sie mir helfen, die ,Ratten von Peking' zu vernichten."
„Ratten und anderes Ungeziefer vernichtet man am besten mit Arsenik," sagte Rolf, ohne eine Miene zu verziehen.
„Die ,Ratten von Peking' sind eine Gesellschaft," meinte Margolo, ohne auf Rolfs offensichtlichen Scherz einzugehen, „die mehr Mitglieder zählt als die Maffia in Italien. Mitglieder der Gesellschaft sind überall da, wo man sie am allerwenigsten vermutet. Mein Vater hat durch die ,Ratten' schon seine besten Leute verloren. Wir können Sie nur vernichten, wenn wir den Führer kennen und ihn mundtot machen. Aber kein Mensch weiß, wer der Führer ist. Sie wollte ich bitten, mir zu helfen, den Führer der ,Ratten' ausfindig zu machen. Sie brauchen mir nur seinen Namen zu nennen, das andere besorge ich mit meinen Anhängern selbst."
Der junge Fürst machte eine Pause, die wir nicht durch eine Zwischenfrage unterbrachen. Dann fuhr er fort:
„Das Banditentum ist in unserem Lande keine Schande wie in Europa. Wir beschützen die Menschen und Organisationen, die sich uns anvertrauen, zum Beispiel die Klöster. Die ,Ratten' machen uns die schärfste Konkurrenz und treiben ihre Kreise schon bis weit nach Tibet hinein. Das können wir uns nicht gefallen lassen. Wenn Sie uns helfen, werde ich Ihr Freund, auf den Sie sich immer verlassen können."
Rolf überlegte kurz und schaute uns an, ehe er dem jungen Manne antwortete:
„Gut, wir wollen Ihnen helfen, aber Sie müssen uns noch ein paar Angaben machen, wo wir den Führer der ,Ratten' zu suchen haben."
„Im Chinesenviertel von Peking," lautete die Antwort, „sind die meisten ,Ratten' beheimatet. Der Führer kann auch in der Mandschustadt wohnen. Das weiß ich noch nicht. Er trägt meist eine schwarze Maske vor dem Gesicht —"
„— und einen Ring mit einem Stein, der als Ratte ausgearbeitet ist, am Finger," vollendete ich schnell.
Margolo blickte mich an, als ob ich ein Zauberer wäre. Dann fragte er:
„Woher wissen Sie das?"
„Weil der Mann vor einer Stunde etwa zu mir ins Abteil kam. Er bedrohte mich mit der Pistole und wünschte ein paar Auskünfte, die sich auf Sie und uns bezogen."
„Das muß er gewesen sein. Schade, daß ich nicht bei Ihnen im Abteil war!"
„Wie heißt er denn, oder wie nennt man ihn?" fragte Rolf.
„Er nennt sich Schang Ti, das bedeutet: ,Höchster Herrscher'. Es ist nur ein Titel, Wie der Mann wirklich heißt, weiß ich nicht."
„Mit dem Titel werden wir schon etwas anfangen können," erklärte ich.
„Wir dürfen in Peking nicht zusammen gesehen werden," meinte Rolf. „Es ist selbstverständlich, daß uns Schang Ti laufend beobachten lassen wird. Wissen Sie übrigens, wieviel Mitglieder zur Gesellschaft der ,Ratten' gehören, Margolo?"
„Das weiß ich leider nicht, aber die Gesellschaft muß sehr groß sein und hat zweifellos überall Anhänger, in allen Teilen des Landes und in allen Schichten der Bevölkerung."
„Und unseren Streit begraben wir endgültig, wenn wir Ihnen helfen, Schang Ti zu suchen und seinen Aufenthalt ausfindig zu machen?" fragte Rolf noch einmal.
Fürst Margolo streckte uns beide Hände zum Zeichen des Friedens entgegen, in die wir gern einschlugen. Er hatte sich unseretwegen der europäischen Sitte bedient, die man sonst in China nicht kennt.
Um nicht zusammen in Peking einzutreffen, schlug Rolf vor, daß Margolo den nächsten Zug nach der Stadt besuchen sollte, der von der letzten Station vor Peking in knapp drei Stunden ging. In der Zeit hatten wir Peking schon erreicht.
Margolo war einverstanden, verabschiedete sich und ging zur letzten Station zurück. Wir marschierten nach Peking weiter, wo wir gegen 16 Uhr eintrafen. In der Mandschustadt suchten wir das Astor-Hotel auf, da wir nun keine Veranlassung mehr hatten, anderswo Quartier zu nehmen. Wir vertrauten Margolo. Das Astor-Hotel hatte allen Komfort und nannte alle
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