Roman
wir müssen in fünf Minuten los.«
»Bringt es nicht Unglück, wenn du mich vorher im Hochzeitskleid siehst?«, brüllte ich aus dem Bad.
Dabei hätte er mich auch so problemlos gehört, denn die Wände unseres Hotelzimmers waren dünn wie Papier. Das hatten wir schon am Vorabend festgestellt, als sich die Leute im Nachbarzimmer unterhalten hatten: Oh ja Baby, oh ja Baby, oh ja! So groß, Baby. Ohhh, so groß. Oh, sooooooo groß. Und so war es immer weitergegangen. Und weiter. Und weiter. Gegen vier waren wir endlich eingeschlafen, in der beruhigenden Gewissheit, dass wir in unmittelbarer Nachbarschaft zum größten Penis der westlichen Welt nächtigten.
Ich zerrte weiter an meinem Reißverschluss, während er antwortete. »Ja, aber ich nehme auf keinen Fall ein separates Taxi. Nachher fährst du noch zum Flughafen und lässt mich einfach sitzen«, rief er lachend.
Als ob. Was für eine alberne Unterstellung. Das wäre ja völlig abwegig. Nicht im Traum würde ich an so was denken. Okay, hatte ich doch, aber seit mindestens zehn Minuten nicht mehr. Ein letzter Ruck am Reißverschluss. Meine Augen wurden ein bisschen feucht, als ich mir dabei im Nacken ein Haar ausriss.
Ich betrachtete mich kurz im Badezimmerspiegel. Die Frau in dem elfenbeinfarbenen Kleid war tatsächlich ich. Marc hatte eine gute Wahl getroffen. Als wir gestern vom Empire State Building ins Hotel zurückgekommen waren, hatte er an der Rezeption angerufen und darum gebeten, ihm »das Paket« raufzubringen. Zum Glück hatte das FBI das Gespräch nicht abgehört – er hatte geklungen wie ein kolumbianischer Drogendealer.
Zehn Minuten später hatte ein Hoteldiener mit einer großen Tüte mit dem Logo von Saks Fifth Avenue vor der Tür gestanden. Marc hatte im Internet ein Kleid ausgesucht, von dem er glaubte, dass es mir gefiel, es gekauft und vor unserer Ankunft ins Hotel schicken lassen. Als ich mich jetzt vor dem Spiegel drehte, verstand ich, wieso er es genommen hatte. Zwei Lagen Stoff in gebrochenem Weiß, die innere aus einem wunderbar weichen Crêpe-Satin, die äußere aus feinster Spitze. Der Stoff fiel in großzügigen Bahnen nach unten, schmiegte sich eng um Taille und Hüften und reichte bis knapp über die Knie. Hinten wurde das Kleid mit winzigen Strasssteinchen zugeknöpft, es hatte einen runden Ausschnitt und lange, schmale Ärmel. Ein Kleid, wie es Holly Golightly in Frühstück bei Tiffany getragen hätte. Aber Holly Golightly trug Größe 36, und ich hatte Größe 40 und einen Magen, der noch immer voller Toast Hawaii vom Zimmerservice am Vorabend war.
Ich atmete tief und zog den Bauch ein. Mr. Superorganisator glaubte sicher, er hätte an alles gedacht, aber leider gab es ein Defizit auf dem Gebiet Zauberhöschen. Das Kleid war zwar wunderschön, und ich war zutiefst gerührt, dass er sich so viel Mühe gegeben hatte, aber … na ja, ich hätte eher etwas ausgesucht, das etwas weniger klassisch und dafür etwas schmeichelhafter war.
Ich rief mich zur Ordnung. Darum ging es nun wirklich nicht. Der Priester (war es ein Priester oder ein Beamter? Eigenartig, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, wer meine eigene Trauung vollziehen würde!) oder der Beamte oder wer auch immer würde uns gleich das Eheversprechen abnehmen.
»Wirst du, Marc, die hier anwesende Lou in guten wie in schlechten Zeiten, bei Blähungen und …«
Es klopfte an der Tür. »Bin gleich so weit!«, rief ich und klammerte mich ans Waschbecken, als mich auf einmal Angst überkam. Zum hundertsten Mal wünschte ich, Josie wäre bei mir. Und Ginger und Lizzy. Und Avril – auch wenn sie sicher sagen würde, ich sähe aus, als hätte ich mich in Josies Küchengardinen gewickelt. Sie hatte vielleicht nicht ganz unrecht, ich war mir selbst nicht sicher, ob diese ganzen Spitzen wirklich ich waren.
Aber spielte das eine Rolle? Wichtig war doch, dass ich Marc heiratete, dass wir einen superschönen Tag hatten, danach nach Hause fuhren, es allen erzählten und ein wunderbares Leben zusammen führten.
Auf einmal überfiel mich der Drang, zu Hause anzurufen, mit jemandem zu sprechen, der mir wichtig war. Doch stattdessen nahm ich das Gebinde aus weißen Rosen, das auf dem Waschbeckenrand lag, warf einen letzten Blick in den Spiegel und zog die Tür zum Bad hinter mir zu.
»Gott, du siehst wunderschön aus!«
Marc lächelte. Er sah aus wie eins der Models auf den Ralph-Lauren-Plakaten, die wir bei Bloomingdale’s gesehen hatten. Wie hatte ich es nur geschafft,
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