Romana Exclusiv Band 0183
sie doch bloß im Bett geblieben!
„Wie lange dauert das denn noch?“, fragte Finn Mac Cauley bestimmt schon zum zehnten Mal. Er wurde immer ungeduldiger. „Mach zu, Mädchen. Weißt du eigentlich, wie viele Kleider wir noch ablichten müssen?“
Sierra hatte keine Ahnung, und es war ihr auch egal. Ihr Problem waren die Frisuren. Gerade herunterfallendes Haar. Pferdeschwänze. Mit Gel behandelte Strähnen.
„Da! Es kräuselt sich schon wieder!“ Ihr Kunde Ballou, Chef einer Werbeagentur, war ein temperamentvoller Mann, der kein Blatt vor den Mund nahm. „Seht sie doch an.“ Mit „sie“ meinte er das Model Alison, eine Schönheit aus der Bronx. Er griff der Frau ins Haar und schrie Sierra an: „Was soll das? Ich will keine Locken. Es soll gerade herunterfallen.“
Das war leichter gesagt als getan. Sierra seufzte ergeben. „Einen Augenblick noch. Etwas Gel wirkt Wunder. Sie werden sehen.“
„Wir können nicht länger warten, Sierra.“ Finn raufte sich die Haare. „Hör auf, an ihr herumzudoktern, und geh aus dem Weg.“
„Ich bin sofort …“
„Pfeilgerade, verdammt noch mal.“ Ballou gab keine Ruhe.
Warum hatte er dann um ein Model mit Naturkrause gebeten? Sierra hätte ihm am liebsten einen kräftigen Tritt versetzt.
„Mein Haar kräuselt sich auch.“ Delilah, eins der anderen Mädchen, blickte unglücklich in den Spiegel.
„Wieso eigentlich blau? Das steht ihr doch überhaupt nicht!“ Kritisch betrachtete Ballou das Kleid, das Alison sich gerade übergestreift hatte. „Ich finde gelb viel besser.“
„Ich hasse gelb“, sagte das Model verdrossen. „Ich sehe darin aus wie eine Leiche.“
„Du wirst auch eine sein, wenn du nicht endlich den Mund hältst.“ Verzweifelt rang Finn die Hände. „Wir haben noch sechsundzwanzig Kleider vor uns. Mach weiter, Sierra!“
Die Models warteten geduldig, während Sierra ihnen die Haare frisierte. Ballou zeterte, schrie und änderte alle zwei Minuten seine Meinung. Finn stöhnte, fluchte und fotografierte.
Sierra ließ sich von dem Tohuwabohu nicht beeindrucken. Es gab wichtigere Dinge im Leben als schlechtes Wetter oder die Frage, ob das gelbe oder blaue Kleid am besten passte.
Wie zum Beispiel Frankie. Heute Morgen hatte sich die letzte Hoffnung zerschlagen. Frankie Bartelli würde sterben.
Sierra hätte diese Tatsache am liebsten verdrängt, aber es gelang ihr nicht. Sie konnte sich wehren, schreien, aufbegehren, es war sinnlos. Die einzige Chance, die er noch hatte, war eine Nierentransplantation – und zwar so schnell wie möglich.
Viele Leute hatten Nierenprobleme und lebten damit viele Jahre lang – auch wenn sie mehrmals wöchentlich zur Dialyse mussten. Nur hießen sie leider nicht Frankie. In den letzten Wochen war er immer schwächer geworden.
Dabei war er doch erst acht Jahre alt und hatte sein ganzes Leben noch vor sich.
Er würde nie Berge erklimmen, angeln oder Baseball spielen. Warum gerade er?, fragte Sierra sich verzweifelt. Ein kleiner Junge, der so wundervolle Raumschiffe und gruselige Monster zeichnen konnte, Pläne für das „tollste Baumhaus der Welt“ entwarf, Startrek und Cheeseburger liebte. Der große blaue Augen, ein mitreißendes Lachen und eine Locke hatte, die sich mit Erfolg jedem von Sierras Glättungsversuchen widersetzt hatte.
Seine Mutter Pam und er wohnten neben Sierra im dritten Stock eines Appartementhauses. Sie kannte die beiden seit drei Jahren. Frankie hatte damals viel gesünder ausgesehen und draußen getobt wie alle Jungen in seinem Alter auch. Und Pam hatte noch nicht den abgehetzten, traurigen Ausdruck in ihren Augen gehabt.
„Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Sie hatte zu weinen begonnen, als sie Sierra von der Diagnose erzählt hatte.
„Das ist doch ganz einfach.“ Beruhigend hatte Sierra den Arm um ihre Freundin gelegt. „Wenn er eine neue Niere braucht, soll er eine bekommen.“
Pam hatte nur noch lauter geschluchzt. „Die Leute vom Krankenhaus verlangen einen Vorschuss von zweihundertfünfzigtausend Dollar. Vorher setzen sie ihn gar nicht auf die Liste.“
Sierra hatte es nicht fassen können. Das war ja die reinste Straßenräuberei. Eiskalte Erpressung. Ihr fehlten immer noch die Worte. Was konnte Pam dafür, dass ihre Krankenversicherung aus irgendeinem unerfindlichen Grund für eine Transplantation nicht zahlte? Wie konnten die Leute vom Krankenhaus so unmenschlich sein und einen kleinen Jungen sterben lassen, nur weil seine Mutter die Operation nicht
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