Romana Exklusiv 0176
einen Turm der Stadtmauer nachgestiegen und hat mich davon überzeugt, dass es besser sei, nach Urbino zurückzukehren.“
„Er ist dir also gefolgt.“
Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen. „Ja.“
„Habt ihr den ganzen Tag in Assisi verbracht?“
Leise antwortete sie: „Nein. Wir … Luca hat mich in ein Restaurant zum Mittagessen eingeladen.“
„Erzähl mir genau, wie es war.“
„Warum willst du das alles hören, Giovanni?“, platzte Gaby heraus.
„Tu mir den Gefallen, bitte. Ist das so schwierig einem guten Freund gegenüber? Du hast meiner Mutter doch gesagt, dass wir gute Freunde seien.“
„Natürlich.“ Das wurde ja immer unverständlicher. Giovanni hatte sich ganz offensichtlich schon mit seiner Mutter unterhalten. Aber was wollte er jetzt von ihr? Das Beste war es wohl, ihm die ganze Wahrheit zu eröffnen und dann zu sehen, wie er reagierte. „Wir sind nach Loretello gefahren, aber auf dem Weg haben wir erst in Arcevia angehalten. Wir wollten dort Spuren meiner Urgroßmutter ausfindig machen.“
„Und dann?“, fragte Giovanni. „Irgendetwas ist in Loretello vorgefallen, das spüre ich ganz genau.“
„Stimmt.“ Gaby feuchtete die Lippen an, da ihr Mund wie ausgetrocknet war. „Luca hat herausgefunden, dass meine Ahnen dort in der Gegend gelebt haben. Meine Urgroßmutter ist in der Ridolfi-Familie aufgewachsen. Wir haben einen Nachfahren ausfindig gemacht und ihm einen Besuch abgestattet.“
„Das ist alles sehr faszinierend, aber ich denke, da gab es noch etwas anderes. Ich meine, etwas zwischen dir und meinem Bruder.“ Es herrschte gespanntes Schweigen, dann fragte Giovanni direkt: „Hat er dich geküsst?“
Gaby seufzte auf. Das konnte sie Giovanni unmöglich eingestehen.
„Sag es mir, Gaby, ja oder nein?“
„Ja.“ Das Herz schlug ihr wie verrückt.
„So wie ein Mann eine Frau küsst, nach der er sich sehnt?“
„Ja.“
„Gaby“, stieß Giovanni atemlos hervor. „Ich habe nur noch eine letzte Frage: Hast du seine Zärtlichkeiten erwidert?“
Gaby fühlte sich sterbenselend. Leise hauchte sie: „Ja. Es tut mir leid, Giovanni. Bitte, verzeihe mir. Es war falsch, aber wir konnten einfach nicht anders. Luca ist genauso durcheinander wie ich. Und ich schwöre dir, dass wir dich nicht verletzen wollten.“
„Das habt ihr auch nicht“, erwiderte er mit einem seltsamen Tonfall in der Stimme. „Danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast, Gaby. Du kennst sicher das alte Sprichwort, dass Wahrheit befreit. Genau so fühle ich mich jetzt.“
„Aber es muss dir trotzdem Schmerzen bereiten. Das tut mir ehrlich leid, Giovanni, ich habe das nicht gewollt. Was wirst du jetzt machen?“
„Es wird nicht mehr lange dauern, bis Luca hier ankommt. Bitte, tu mir den Gefallen und sage ihm nicht, dass ich bei dir war und dich gezwungen habe, mir alles zu erzählen. Das würde ihn sicher verletzen. Er hat immer versucht, mich zu beschützen. Lass ihm diese Illusion, bitte, Gaby.“
Wieder war sie überrascht, doch schien Giovanni dieses Anliegen so wichtig zu sein, dass sie es ihm unmöglich ausschlagen konnte.
„Versprochen“, sagte sie nach einer langen Pause. „Aber was ist, wenn die Polizisten ihm sagen, dass sie dich hier gesehen haben?“
„Das werden sie bestimmt nicht tun“, erwiderte er vielsagend.
„Weiß Luca, dass es dir gut geht?“
„Mutter hat es ihm längst gesagt. Und ich bin sicher, dass du dein Versprechen hältst. Gaby, vielleicht werden wir uns niemals wiedersehen. Ich wünsche dir eine gute Reise zurück nach Hause.“
„Warte“, rief Gaby ihm nach. „Ich möchte wissen, was du jetzt machen wirst. Lass mich nicht einfach allein hier.“
„Wir haben keine Zeit mehr“, gab er zurück und verschwand in dem langen Gang, der von den Zellen fortführte. Gaby trommelte immer wieder gegen die Zellentür, doch war von Giovanni nichts mehr zu hören.
Er hatte sich von seiner netten Seite gezeigt, und Gaby war ihm sehr dankbar dafür, da sie sich doch vorstellen konnte, wie tief verletzt er sein musste. Sie hätte alles getan, damit Giovanni die traurige Wahrheit erspart geblieben wäre, doch hatte sie einfach keine andere Wahl gehabt. Das würde sie sich selbst nie vergeben können.
Andererseits aber hatte sie Giovanni versprochen, Luca nichts von dem Besuch zu sagen. Und dieses Versprechen würde sie Giovanni zuliebe halten. Dann würde Luca nach Rom zurückkehren und die ganze Geschichte vielleicht doch noch vergessen, um sein
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