Romana Exklusiv 0187
Tansy war hin und her gerissen zwischen ihrem Mitgefühl für Grace Dacre und dem Wissen, dass Rick den Kampf seines Lebens zu bestehen hatte.
Rick musste beweisen – vor allem sich selbst –, dass er stark genug war. Der Leiter des Camps hatte deutlich gemacht, dass Rick geradewegs wieder in die Lage geraten würde, der er zu entkommen versuchte, wenn er nach Hause geholt würde.
„Teilen Sie mir mit, wie es um Ihre Stiefmutter steht, wenn Sie die Testergebnisse erfahren. Falls es ihr … nicht gutgeht, werde ich sehen, was ich tun kann.“ Es kostete Tansy große Überwindung, das zu sagen.
Leo warf ihr einen verächtlichen Blick zu. „Grace fürchtet, dass Rick in Schwierigkeiten ist.“
Er war in Schwierigkeiten, aber er bemüht sich, damit fertig zu werden. „Ihr Halbbruder ist kein Strichjunge, wenn Sie das meinen. Er hungert nicht, er ist nicht schmutzig.“
„Damit kann ich nichts anfangen! Wo, zum Teufel, ist er?“
Tansy zuckte zusammen, unterdrückte jedoch die plötzliche Angst. „Er ist nicht in Gefahr. Bitte gehen Sie, Leo.“
„‚Mr. Dacre‘ für Sie.“
Sie lächelte spöttisch. „Na schön, Mr. Dacre. Bitte gehen Sie. Ich kann Ihnen nicht helfen.“
„Tansy …“
„Sie bringen mich in eine unmögliche Situation!“, unterbrach sie ihn heftig. „Ich habe Rick versprechen müssen, Ihnen nicht zu sagen, wo er ist!“
„Er hatte kein Recht, Ihnen ein solches Versprechen abzunehmen“, erwiderte Leo. „Und Sie haben kein Recht, seinen Aufenthaltsort für sich zu behalten.“
Tansy schaute Leo wütend an. „Warum nicht?“
„Weil er noch ein Kind ist.“
„Rick ist siebzehn. Alt genug, um …“
„Alt genug, um bereits sein Leben verpfuscht zu haben. Spielen Sie die Dumme, oder sind Sie die leichtgläubigste Närrin, die mir jemals begegnet ist?“ Leo versuchte nicht mehr, seine Wut zu verbergen. „Mein Halbbruder ist drogensüchtig. Wissen Sie das?“
„Ja. Ich hatte nur keine Ahnung, dass Sie es wissen.“
„Sie haben zweifellos gelernt, mit Drogensüchtigen umzugehen, als Sie ein Straßenkind waren“, fuhr Leo schonungslos fort.
Es war wie eine Ohrfeige. „Ja“, erwiderte Tansy, „ich hatte mit Süchtigen zu tun.“
Mrs. Tarawera hatte keine Unterschiede zwischen denen gemacht, die sie aufnahm.
Leo stand auf, ging ans Fenster und blickte hinaus auf den Hof an der Seite des Hauses. „Dann muss Ihnen doch klar sein, dass man ihnen kein Wort glauben darf. Rick braucht fachmännische Hilfe.“
„Ihn zu einer Therapie zu zwingen, die er ablehnt, ist sinnlos“, widersprach Tansy.
„Und während wir abwarten, stirbt er vielleicht an einer Überdosis.“
„Nein. Rick weiß, welche Katastrophe er aus seinem Leben gemacht hat, und er unternimmt etwas dagegen.“
„Oh, um Himmels willen!“ Leo schlug mit der Faust auf die Fensterbank. „Mein Halbbruder ist ein Kind!“
„Das meinen Sie. Warum lassen Sie ihn nicht erwachsen werden? Warum akzeptieren Sie ihn nicht, wie er ist, anstatt ihm das Gefühl zu geben, ein Versager zu sein, nur weil er niemals so ein großer, starker Macho wie Sie sein wird?“
Leo drehte sich so schnell um, dass Tansy zusammenzuckte. Sie beobachtete ihn erschrocken, doch er unterdrückte den Zorn, den ihre Worte ausgelöst hatten.
„Ich hätte es wissen sollen“, sagte Leo eisig. „Alles ist meine Schuld. Ich bin schon sein ganzes Leben lang ein bequemer Sündenbock für Ricks Fehler gewesen.“
„Sie können nichts dafür, dass er Sie bewundert.“ Tansy gelang es ebenfalls, ruhig zu bleiben. Da Leo seine Gefühle so gut unter Kontrolle hatte, würde er im Vorteil sein, wenn sie die Beherrschung verlor. „Rick wird jetzt erwachsen. Gut, er hat Fehler gemacht. Das ist ihm klar. Wenn Sie die Sache in die Hand nehmen, verstärken Sie nur seine Abhängigkeit, seine Unfähigkeit, den unmöglich hohen Dacre-Anforderungen zu genügen. Lassen Sie ihn allein mit diesem Problem fertig werden.“
„Und wenn er es nicht schafft?“, fragte Leo drohend. „Was dann? Haben Sie darauf eine Antwort, Sie große Ratgeberin?“
Er hatte ihre Ängste laut ausgesprochen. In den vergangenen Nächten hatte sie wach gelegen und sich gefragt, ob es einfach nur naiv und dumm war, zu glauben, dass Rick seine Schwierigkeiten allein am besten überwinden würde.
„Nur Rick selbst kann sich jetzt helfen“, sagte Tansy angespannt. „Er ist zu alt, um wie ein Kind behandelt zu werden. Wenn dies nicht funktioniert, muss er eben einen anderen Weg
Weitere Kostenlose Bücher