Romeo für immer, Band 02
zuckt die Achseln. Es ist ein verführerisches Heben ihrer Schultern, das enthüllt, wie sinnlich sie ist. Doch sie hält ihre Sinnlichkeit sorgsam im Zaum, seit sie entdeckt hat, dass die Verabredung mit Dylan nur ein dummer Scherz war.
»Du hast mich fast nackt gesehen«, korrigiere ich sie. Ich wünschte, ich hätte mehr als nur gestohlene Erinnerungen an mein Zusammensein mit Ariel. »Aber ich werde mein Wort nicht brechen. Nicht einmal, wenn du mich auf Knien darum bittest.«
Ihre Mundwinkel zucken leicht. »Ich werde versuchen, mich zu beherrschen.«
Ich grinse. »Du hast einen Hang zum Sarkasmus.«
»Ja, habe ich.«
»Ich mag das.«
»Das dachte ich mir.« Ihr neckischer Tonfall reizt mich, am liebsten würde ich sie packen und auskitzeln, bis sie vor Lachen quietscht. Seit fast tausend Jahren habe ich kein Mädchen mehr ausgekitzelt, dabei ist es doch der ideale Vorwand, die Hände dorthin wandern zu lassen, wo sie eigentlich nicht hingehören …
»Dylan?«
Zuerst zu den Rippen. Dann, wenn sie sich vorbeugt, würde ich an ihre Taille fassen, und da, wo sie besonders kitzlig ist, über …
»Dylan?« Sie stemmt die Hände in die Hüften.
»Ja?« Mit einem Blinzeln verscheuche ich meine vergleichsweise unschuldige Fantasie.
»Drehst du dich bitte um?« Ihr Lächeln lässt mich vermuten, dass sie meine Gedanken erraten hat, denn es ist ein wissendes Lächeln, zwar schüchtern, doch mit einem aufkeimenden Gefühl der Macht. Es ist das Lächeln eines Mädchens, das merkt, welche Reaktion es bei einem Jungen hervorruft. Auch wenn es nicht das ist, was ich mir für heute Morgen vorgenommen hatte, ergreife ich diese Gelegenheit beim Schopf. Ariel kann ein wenig Rückenstärkung gebrauchen. Und mir ist alles recht, das mir gestattet, so lange in ihrer Nähe zu bleiben, bis sie sich in mich verliebt.
»Umdrehen! Dreh dich endlich um.« Um ihre Intimsphäre zu wahren, drehe ich ihr den Rücken zu und versuche, mir nicht vorzustellen, dass sie sich jetzt anzieht, oder besser gesagt auszieht. Ich versuche mich abzulenken, indem ich die Bilder an der Wand studiere. Die kräftigen Farben und kühnen Pinselstriche regen meine Fantasie an. Ihre Malereien mit den skurrilen und etwas morbiden Motiven sind hervorragend. Ich finde sie jedenfalls bezaubernd. »Deine Bilder sind wunderschön.«
»Danke.« Sie klingt nervös und gleichzeitig erfreut. »Einige sind schon ziemlich alt, ich habe sie gemalt, als ich zwölf war. Sie sind nicht besonders gut, aber ich lasse sie trotzdem hängen, weil sie mich daran erinnern, wie viel ich inzwischen dazugelernt habe.«
»Mir gefallen sie alle.« Ich weiß zwar schon von meinem letzten Aufenthalt in Dylans Körper, dass Ariel malt, aber mir war nicht klar, wie plastisch und aufrüttelnd ihre Bilder sind. Meine Söldneraugen funktionierten zwar, doch habe ich damit auch wirklich genau hingesehen?
Ich schätze, die Antwort lautet »Nein«. Denn hätte ich beim ersten Mal richtig hingeschaut, dann wäre mir wohl kaum das Gemälde unten links entgangen. Ich erinnere mich zwar daran, weil ich in diesem Zimmer stinkwütend auf Julia gewartet habe, aber das Bild hatte nicht diese Anziehungskraft auf mich wie jetzt. Ich sehe es mir näher an. Die Vertrautheit des windumtosten Hügels trifft mich wie ein Faustschlag. Der Hügel sieht aus wie mein Hügel, wie der Hügel, auf dem Romeo starb und zum Ungeheuer wurde.
Und der Junge …
Ich beuge mich vor und studiere die feinen Pinselstriche und die zarten Farben, mit denen Ariel Haare und Umhang gemalt hat. Das Gesicht ist viel zu winzig, als dass ich es genau erkennen kann, aber es könnte durchaus meines sein. Es könnte das Gesicht sein, mit dem ich geboren wurde und das zu dem Körper gehört, der just in diesem Moment durch den Botschafterzauber in der Höhle gefangen gehalten wird. Wo er verfault, rasend vor Schmerz, weil durch die rasch fortschreitende Verwesung seine Knochen die Haut durchstoßen.
Nachdem meine Seele ihrem Seelengeist entkam, ist dieser nun erneut besessen davon, mich zu jagen. Er will mich bei der Hand nehmen und Körper und Geist wieder miteinander vereinen. Der Seelengeist ist ein Teil meines Ichs, ein Überbleibsel dessen, was ich einmal hätte sein können. Gleichzeitig steht er unter dem Einfluss dessen, was ich jetzt bin. Uralte Mächte, die für den menschlichen Verstand nicht fassbar sind, zwingen ihn dazu, das kosmische Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen, das ich als Söldner so
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