Romeo für immer, Band 02
es einfach als Denkanstoß.« Er lächelt. »Meinst du, deine Mutter erlaubt, dass ich dich morgen zur Schule abhole? Nachdem wir Frieden geschlossen haben und über den gewissenhaften Umgang mit Verhütungsmitteln alle einer Meinung sind?«
Brennende Röte steigt mir ins Gesicht. Der Gedanke an das peinliche Verhalten meiner Mutter verdrängt alles andere. »Ja«, murmele ich. »Ich denke schon.«
»Gut. Ich hole dich morgen früh um sieben ab. Dann können wir vor dem Unterricht noch frühstücken gehen.« Er küsst mich auf die Stirn und geht zur Tür.
Ganz kurz überlege ich, ihn zu bitten, noch zu bleiben. Doch ich schweige und sehe ihm nach, wie er in der Dunkelheit verschwindet. Ich frage mich, wer von uns beiden verrückter ist. Er, weil er so einen Blödsinn verzapft, oder ich, weil ich mich allen Ernstes frage, ob es stimmt, was er sagt?
11
Romeo
A ls ich um Viertel vor sieben den Wagen auf die Einfahrt der Draglands lenke, wartet Ariel schon vor der Haustür auf mich. Ihren Rucksack hat sie lässig über die Schulter gehängt.
»Du siehst großartig aus«, begrüße ich sie. Sie trägt eine dünne weiße Bluse und dunkle Jeans. Ihre silberblonden Haare hat sie zu langen Zöpfen geflochten und an den Enden mit Lederriemen zusammengebunden. »Wie eine blasse Indianerprinzessin.«
»Danke.« Lächelnd lässt sie sich in den Beifahrersitz sinken. »Du bist aber früh dran.«
»Ich habe kaum geschlafen, weil ich es nicht erwarten konnte, dich wiederzusehen.«
»Ich habe auch wenig geschlafen.« Sie zieht die Tür zu, und ich lenke Dylans Wagen auf die Straße Richtung Innenstadt.
»Ich bin seit zwei Uhr wach und habe an einem neuen Bild gearbeitet. Ich könnte jetzt erst mal einen Kaffee vertragen.«
»Das lässt sich einrichten«, erwidere ich und warte gespannt darauf, dass sie das Thema anschneidet, über das sie sich den Kopf zermartert haben muss .
Aber sie verliert kein einziges Wort über die geheimnisvollen Andeutungen, die ich gestern Abend gemacht habe. Stattdessen lobt sie das ungewöhnlich schöne Wetter. Dann erinnert sie mich daran, dass wir unsere Englischhausarbeit – die ich leider nicht gemacht habe – heute abgeben müssen. Und zu guter Letzt fragt sie mich, ob ich auch auf die Generalprobe für den Auftritt beim Schulball vorbereitet bin.
»Logisch«, antworte ich.
»Logisch«, wiederholt sie und verdreht entnervt die Augen. »Bist du denn gar nicht nervös?«
»Ich werde erst nervös, wenn es um Leben und Tod geht.« Meine Worte kommen heftiger als beabsichtigt. Noch zwei Tage. Nur noch zwei Tage! Ich schiebe diesen verstörenden Gedanken beiseite und grinse. »Außerdem ist es nur ein kleiner Auftritt. Ein Song, der dauert keine fünf Minuten, und dann haben wir den Rest des Abends für uns. Wir tragen ja keine Kostüme und müssen uns danach nicht umziehen.« Ich drehe die Heizung herunter. Seit Ariel im Auto sitzt, ist es hier drin plötzlich viel wärmer. »Da fällt mir ein, dass ich noch keinen Anzug für den Schulball habe. Hast du Lust auf Shopping heute Nachmittag?«
»Na klar.«
»Ich dachte an einen Smoking, natürlich secondhand. Pastellfarben, wenn wir einen finden.«
»Okay«, lacht sie. »Das kann ja heiter werden.« Und dann nimmt sie meine Hand und lässt sie während der ganzen Fahrt nicht mehr los. Ich bin verwirrt.
Soll ich vielleicht so tun, als hätte ich nie angedeutet, dass eine andere Seele in Dylans Körper steckt? Die Veränderung, die sich nach nur einem Tag ungeteilter, liebevoller Zuwendung in Ariel vollzogen hat, finde ich bemerkenswert. Vielleicht reichen ja ein paar abgedroschene Sprüche und etwas Romantik, um meine Haut zu retten. Aber genügt mir ein »Vielleicht«? Wenn ich in den verbleibenden achtundvierzig Stunden versage, werde ich wieder in der Hölle schmoren. Wäre es nicht besser, meinem Instinkt zu folgen und Ariel eine stark gekürzte, kreativ veränderte Version meiner Geschichte aufzutischen?
Mein Bauchgefühl sagt mir, dass Romeo Montague – immerhin einer der berühmtesten und tragischsten Liebhaber der Weltliteratur – bessere Chancen hat, in so kurzer Zeit Ariels Herz zu gewinnen als Dylan Stroud. Ich habe in der Vergangenheit schon oft mit meiner wahren Identität die Menschen blenden können und sie so zum Söldnertum bekehrt. Es ist erstaunlich, wie schnell ein ansonsten klar denkender Mensch beim Klang meines Namens bereit ist, alle Vernunft fahren zu lassen, nur um in der berühmtesten Liebesgeschichte der
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