Rosa
müsse er nachdenken, und schüttelte den Kopf. »Noch nie von ihm gehört. Wer ist das?«
»Ein möglicher Zeuge«, sagte Nel.
Er ging rasch zur Tür und öffnete sie für uns. »Werden Sie mit Kars reden?«
»Bis bald, Meneer Laacken.«
Wir kamen an einer halb geöffneten Tür vorbei, hinter der Männer und Frauen laut durcheinander redeten, und stiegen die Treppe hinunter, ohne uns den Hals zu brechen. Die rothaarige junge Frau saß nicht auf ihrem Posten. Vielleicht war das Personal durch den Besuch der Justiz in Aufruhr geraten und probte den Aufstand. Nel beugte sich über den Schreibtisch zu einem kleinen Licht auf der Telefonanlage.
»Nicht!«, sagte ich, als sie nach dem Hörer griff.
»Schon gut.« Sie ließ die Finger von dem Telefon und folgte mir zur Tür. »Leitung eins, das ist immer der Chef. Er telefoniert mit jemandem.«
»Mit seinem Therapeuten.«
Wir überquerten den Platz. »Fahr du lieber«, sagte ich.
»Warum?«
»Arbeitsteilung.«
Nel schnaubte, aber ich hatte die Beifahrertür schon geöffnet und sie ging um den BMW herum und setzte sich ans Steuer.
»Was meinst du?«, fragte sie.
»Laacken ist vielleicht nicht ganz astrein und die Geschichte klingt ziemlich komisch, aber er sieht mir nicht wie ein Mörder aus.«
»Sein Atem hat nach geräucherter Makrele gestunken.«
Ich faltete das Blatt mit den von Laacken notierten Adressen auseinander, zog den Umschlag aus der Tasche, den ich in Victors Papierkorb gefunden hatte, und hielt beides nebeneinander. Handschriften unterlagen einer zeitbedingten Mode, von der Knotenschrift über die humanistische Kursivschrift bis hin zur sauberen Vorkriegs-Schrägschrift und der Blockschrift, mit der Schüler in den Fünfziger- und Sechzigerjahren terrorisiert wurden, bis Revolten und Demokratisierung der Schuldisziplin ein Ende bereitet hatten und jeder eben schrieb, wie es ihm in den Sinn kam. Die Handschriften waren unterschiedlich, aber beide schräg und flüssig, stammten also wahrscheinlich von zwei Leuten derselben Altersgruppe.
»Da ist er«, sagte Nel.
Ich folgte ihrem Blick zur gegenüberliegenden Seite des Platzes, wo Laacken aus dem Haus gekommen war. Er schaute hinauf in den bewölkten Himmel, als frage er sich, ob es regnen würde. Dann blickte er sich um, doch durch die vielen Fahrradfahrer, Fußgänger und parkenden Autos war der Platz so belebt, dass er uns gewiss nicht bemerken würde. Laacken ging zu einer Gruppe von Fahrrädern, die angekettet an der Hauswand standen, bückte sich, um Klemmen an seinen Hosenbeinen zu befestigen, befreite ein solides Herrenrad von seinem Kettenschloss und schob es auf die Straße.
»Willst du ihm folgen?«, fragte Nel.
»Man braucht zwanzig Mann, um in Amsterdam einen Fahrradfahrer zu verfolgen, und selbst dann verliert man ihn noch.«
Laacken stieg auf das Rad und verschwand in Richtung De Pijp. Ich griff nach dem Blatt mit den Adressen. Laacken fuhr nicht nach Hause. Die Valeriusstraat, wo er mit seiner Freundin wohnte, lag in der anderen Richtung. »Wo liegt die Hoendiepstraat?«
»Das ist eine Nebenstraße der Rijnstraat, an der Utrechtsebrug.«
Ich nickte. »Fahr mal dahin. Von dort aus ist es nicht mehr weit.«
Nel startete und bog sofort rechts ab in die Ferdinand Bolstraat in Richtung Amstelkade, um die Einbahnstraßen zu vermeiden.
»Was ist von dort aus nicht mehr weit?«, fragte sie.
»Ich hatte für einen Moment das Gefühl, als würde ihm der Name de Vries etwas sagen.« Ich öffnete mein Notizbuch, klappte die Freisprecheinrichtung auf und wählte eine Nummer.
»Hallo?«
»Guten Morgen, Max Winter am Apparat, ist Mevrouw Lommerijns zu sprechen?«
»Meine Frau ist einkaufen.«
»Vielleicht hat sie Ihnen erzählt, dass ich da war, Max Winter von der Bewährungshilfe?«
Ich lächelte Nel zu, die missbilligend die Stirn runzelte.
Das Telefon sagte: »Wegen Victor de Vries?«
»Genau. Ich möchte nur gerne wissen, ob er seitdem zu Hause gewesen ist.«
»Wir haben ihn nicht mehr gesehen.«
»Ist noch einmal Besuch für ihn gekommen?«
»Nein, wir haben nichts gehört und nichts gesehen. Bedeutet das, dass Sie die Polizei hinzuziehen?«
Ich beruhigte ihn. »Nein, das tun wir erst im letzten Moment. Wir können vorerst noch eine Weile abwarten.«
»Das wäre mir recht. Wir versuchen hier, auf anständige Art unser Geld zu verdienen, am liebsten ohne …«
»Dafür habe ich Verständnis. Vielen Dank auch.«
Ich unterbrach die Verbindung. Nel kurvte durch die
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