Rosa
gerichtet, die mit schwerfälligen Bewegungen auf uns zukam, die Haushälterin auf den Fersen. Seine Stimme erhielt plötzlich einen zärtlichen Klang. »Es ist eine Krankheit«, sagte er. »Es spielt keine Rolle, ob sie viel oder wenig isst. Hermien leidet sehr darunter.«
»Kann man gar nichts dagegen tun?«, fragte Nel.
Hulst hob beide Hände und antwortete: »Sie geht demnächst für einen Monat in eine Spezialklinik in den Ardennen zur Kur. Dort werden alle möglichen Untersuchungen durchgeführt. Wir hoffen, dass das etwas bringt.«
Wir standen auf, als die Damen den Tisch erreichten. Hulst stellte uns nur als Max und Nel vor, Kollegen aus Amsterdam, und wir kondolierten Swaan, der Haushälterin. Wir rückten Stühle für sie zurecht und bestellten Kaffee und belegte Brötchen. »Stellen Sie uns einfach eine gemischte Platte zusammen«, sagte Hulst zu der Serviererin.
Sie sprachen über die Beerdigung und wer alles da war. Swaan schätzte ich um die fünfzig, eine magere Frau mit runzligen Händen und einem traurigen Vogelgesicht. Ihrer Meinung nach hatte Hendrik Dufour keine Angehörigen gehabt. Jedenfalls habe sie nie etwas davon bemerkt, musste aber zugeben, dass Dufour kaum je über sein Privatleben gesprochen hatte, nur über den Haushalt, den Garten, die Einkäufe. Wenn sie vormittags arbeitete, ging er oft allein spazieren, um ihr nicht im Weg zu sein. Er war sehr in sich gekehrt gewesen. »Die meisten Leute fanden ihn reichlich sonderbar, aber er war geistig voll auf der Höhe und er war ein liebenswerter Mann.«
»Das war er wirklich«, pflichtete Hermien ihr bei.
»Haben Sie lange für ihn gearbeitet?«, fragte Nel.
Sie rechnete nach. »Sechs Jahre, glaube ich. Da war er schon in Frührente, er hat bei der Post gearbeitet, in Oosterbeek. Er litt unter Rückenproblemen.«
»Besuchte ihn manchmal jemand?«, fragte ich.
»Der Nachbar schaute gelegentlich auf ein Schwätzchen vorbei«, antwortete sie. »Ansonsten kam selten jemand, und wenn ich vormittags da war, nie. Aber letzte Woche ist jemand da gewesen, das habe ich daran gesehen, dass Hendrik den Abwasch stehen gelassen und etwas zum Tee geholt hatte. Eine Gebäckschachtel von Veenkamp stand in der Küche. Das habe ich Jan schon erzählt.« Sie schaute Hulst an, als warte sie auf eine Bestätigung.
»An welchem Tag war das?«, fragte ich.
Hulst antwortete an ihrer Stelle: »Swaan war am Mittwochvormittag da, also muss es Dienstagnachmittag gewesen sein.«
»Oder am Montag, das wäre doch auch möglich?«
»Swaan meint Nein.«
Die Haushälterin schüttelte den Kopf. »Nein, bis Mittwoch hätte er garantiert aufgeräumt.« Sie verbarg ihre Augen und ich erkannte einen Moment der Erschütterung, als sie an ihren Arbeitgeber dachte und die Alltagsroutine, die abrupt unterbrochen worden war. »Es war auch so schon ziemlich merkwürdig«, sagte sie mit erstickter Stimme.
»Meinen Sie, dass er normalerweise aufgeräumt hätte?«, fragte Nel.
»Er ist sehr ordentlich, nie lässt er etwas für mich stehen«, sagte sie, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass sie in der Gegenwart von ihm sprach. »Aber am Mittwoch stand sogar die Pfanne von seinem Abendessen noch auf dem Gasherd. Er hatte sich ein Kotelett gebraten.«
»Hat er etwas über den Besuch erzählt?«, fragte ich.
»Nein, nur, dass er am Nachmittag arbeiten müsse. Er war sehr gut gelaunt.«
»Mehr als gewöhnlich?«
»Ja, eigentlich schon, aber am Vormittag ging er spazieren wie immer, es war schönes Wetter. Laufen tat seinem Rücken gut.« Sie schwieg einen Augenblick. »Er hatte alte Papiere und Zeitungsausschnitte rausgekramt, die besaß er kistenweise. Sonst hat er sich nie damit beschäftigt.«
»Waren diese Papiere noch da, als Sie am Freitag kamen?«
Swaan nickte. »Sein ganzer Schreibtisch war voll davon. Ich fragte, ob ich sie wegräumen solle, aber das wollte er nicht, er sagte, er müsse nachmittags weiter daran arbeiten. Ich habe also nur ein bisschen abgestaubt und alles gelassen, wie es war. Ich war froh, dass er etwas zu tun hatte. Man denkt doch, dass sich so ein Mann unheimlich langweilen muss, abends fernsehen und Zeitung lesen, mutterseelenallein durchs Dorf wandern.« Sie ließ den Blick durch das Lokal schweifen. »Er kam fast jeden Tag hierher Kaffee trinken, dann hat er dort drüben am Lesetisch gesessen. Was ist das für ein Leben? Mein Mann sagt, manche Leute würden sich an die Einsamkeit gewöhnen und sich damit zufrieden geben, aber das kann ich
Weitere Kostenlose Bücher