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Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Titel: Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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zeichnete sich Überraschung ab, dann plötzliche Freude. Er verbeugte sich vor mir. Ich verbeugte mich vor ihm. »Vielen Dank«, sagte er mit ernster Stimme.
    »Keine Ursache.« Ich deutete auf einen Fenstersitz, weil ich ihm ansah, dass er sich ausruhen musste. Er erinnerte mich an die erschöpften, verzweifelten Menschen, denen ich in Kriegszonen begegnet war. »Bitte nehmen Sie doch Platz.«
    Eine Weile rührte er sich nicht. Zögerte. War unsicher.
    Ich lächelte. »Ruhen Sie sich aus.«
    »Ja. Das ist gut. Ich ruhe mich aus.«
    Er bewegte sich langsam, und bei jedem humpelnden Schritt hob sich seine rechte Hüfte um mehrere Zentimeter. Sich auf der Bank niederzulassen, dauerte einige Zeit, obwohl ich ihm dabei half. Als er endlich saß, seufzte er.
    »Ich danke Ihnen.«
    »Keine Ursache.« Ich gab ihm die Kekse. Vorsichtig nahm er sie mit der rechten Hand entgegen, seine linke war reglos.
    Danach ging ich wieder an die Arbeit. Ich wollte eine dreistöckige Torte backen. Jede Schicht sollte ein eingewickeltes Geschenk darstellen. Die unterste Schicht würde rosa-weiß gestreift sein, die mittlere lila mit einfachen Blumen und die oberste eine hübsche blaue Schachtel mit einer riesigen weißen Schleife darauf.
    Während ich arbeitete, behielt ich meinen Gast heimlich im Blick. Er schaute aus dem Fenster und knabberte an dem Keks. Nach jedem Bissen schloss er die Augen, wie vor Verzückung. Ich schmunzelte. Tja, unsere Kekse waren verdammt gut!
    Er war so dünn, so zerbrechlich.
    Später erfuhr ich, dass er Bao hieß. Er war aus Vietnam eingewandert.
    Ich erfuhr auch, dass er das Leben eines Einsiedlers führte, doch nicht weil er es so wollte.
    Und ich erfuhr, dass der bucklige, sanfte Bao mit den quälenden Erinnerungen lebte, die sich um seinen Hals wanden, ihn zum Krüppel gemacht und das Lebenslicht in seinen Augen ausgelöscht hatten.

    Für die Messe am Mittwochabend backten Henry und ich sechzig Cupcakes. Er bestand darauf, dass wir blaue Glasur benutzten und jedes ein weißes Kreuz obendrauf bekam, »für Jesus«.
    Ich wollte nicht in die Kirche gehen, aber Henry konnte unmöglich sechzig Cupcakes ohne Hilfe die Stufen hinauftragen, also stapfte ich in Jeans und einem T-Shirt voll blauer Glasurspritzer die Stufen hoch.
    Gott musste anderweitig zu tun haben, denn er ließ keinen Blitz in mich fahren, als ich durch die Kirchentür trat, auch ging das Dach nicht in Flammen auf.
    Ein in Schwarz gekleideter Priester mit schlohweißem Haar stand an der Tür zum Vorraum. Er lächelte, als er mich sah, und als er mich erkannte, breitete er die Arme aus wie ein Adler.
    Ich konnte mich kaum rühren. Vor mir stand Pater Mike.
    Ich bekam einen dicken Kloß im Hals. Der Mann hatte mir praktisch das Leben gerettet.
    »Isabelle, Isabelle, Isabelle! Du liebes Mädchen!«, rief er und humpelte auf mich zu. Seine Hüfte war von einem Schrapnell beschädigt, das er im Koreakrieg abbekommen hatte. »Ich habe dich vermisst!«
    Ich stellte die Cupcakes ab und umarmte ihn. Es war, als umarmte ich Sicherheit, Trost und Freundschaft, alles auf einmal, aber wenn dieser gute Mensch von der Unzahl der Sünden gewusst hätte, die ich seit meinem Weggang aus Trillium River begangen hatte, hätte er mich sicher nicht umarmen wollen.
    Was würde Pater Mike von meinen BH-Verbrennungen und den ihnen vorangegangenen Ereignissen halten? Was würde er von den Männergeschichten halten? Von meiner Selbstsucht?
    Mit beiden Händen wischte er sich die Tränen von den Wangen und sagte: »Mein liebes Mädchen, ich brauche dich unbedingt für den Chor.«
    Das war typisch für Pater Mike: Hallo, wie geht’s dir, komm in die Kirche und hilf mir. Alles innerhalb von zwei Sekunden. »Hallo! Ich brauche jemanden für die Sonntagsschule der Viertklässler, und ich höre, Sie waren früher Lehrerin! Könnten Sie gleich nächste Woche anfangen?« Oder: »Ich höre, Sie sind nach Trillium River gezogen! Welches Instrument spielen Sie? Trompete? Wunderbar! Na los, holen Sie sie, Sie spielen heute das Solo zwischen Kommunion und Danksagung!«
    Das Komische war, dass ich mindestens dreißig Familien aufzählen konnte, die nach Pater Mikes erster Einladung immer noch hier waren.
    »O nein, Pater Mike. Ich singe nicht mehr.«
    »Isabelle Bommarito! Erhebe deine melodische Stimme zu Gott und singe Halleluja! Du warst so eine Stütze für unseren Chor, als du hier gelebt hast! Eine große Stütze!«
    Ich hatte im Chor gesungen, weil Pater Mike mich dazu

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