Rosen des Lebens
– ungeachtet der hunderttausend Livres, die mir von der Schenkung des Königs, damit ich Orbieu kaufen konnte, übriggeblieben
waren. Diese Summe hatte ich nach dem Rat meines Vaters und La Suries angelegt, und sie brachte mir hübsche Zinsen.
Gewiß, der Unterhalt des Hauses, des Gesindes, der Hunde und Pferde kostete mich einiges. Am teuersten kamen mich aber die
Schweizer für meine Reisen zwischen Paris und Orbieu zu stehen. Doch waren die Wege, abgesehen von den Straßenräubern, neuerdings
gefährlich geworden durch die Söldner, die der Krieg zwischen Mutter und Sohn auf beiden Seiten rekrutiert hatte und die,
nun entlassen, auf ihrer Heimkehr die Dörfer plünderten, die das Pech hatten, an ihrem Weg zu liegen. Diese Burschen waren
noch schlimmer als die Räuber, sie waren besser bewaffnet, schreckten vor nichts zurück und verstanden sich auf alle Kriegslisten.
Um auf Orbieu zurückzukommen, so vergesse ich nicht, wieviel meine Wirtschaft dem Rat meines Vaters und La Suries verdankte,
wie sehr Pfarrer Séraphin mir bei meinen Dörflern geholfen und wie gut Figulus mich in ihre Sprache eingeweiht hatte, vor
allem aber, daß Monsieur de Saint-Clair das Gut mit ebensoviel Sorgfalt, Ehrgeiz und Klugheit leitete, als wäre es sein eigen.
Aber ich darf auch sagen, daß ich nie aufgehört habe, ihn bei dieser Aufgabe zu unterstützen, daß ich ihn besucht habe, so
oft ich konnte, und seine Briefe immer sofort und mit aller Genauigkeit beantwortet habe.
Gerne hätte ich nun mit ihm über sein Heiratsvorhaben gesprochen, sowohl aus Freundschaft für ihn wie um der Folgen willen,
die sich daraus für Orbieu ergeben würden. Denn wer ein bißchen Lebenserfahrung hat, weiß, daß diese Folgen ebenso glücklich
wie ärgerlich sein konnten, je nachdem. Aber Monsieur de Saint-Clair wollte nach der Rechnungslegung unbedingt erst über einen
Plan mit mir reden, der ihm am Herzen lag.
In Orbieu wurde viel Flachs angebaut, sowohl auf unserem Grund und Boden wie auch auf den Parzellen unserer Dörfler. Das machte
große Mühe, brachte aber auch einen nicht zu verachtenden Gewinn, der allerdings nach seiner Ansicht noch erhöht werden konnte.
|253| Wenn der Flachs geerntet ist, muß er bekanntlich mehrfach und mit großer Mühsal bearbeitet werden, bis man die Fasern an den
langen Winterabenden verspinnen kann. Und dann kommt so ein gerissener Händler aus der Stadt, behauptet, das Leinengarn sei
minderer Qualität, und kauft es unseren Dörflern für einen lachhaften Preis ab, ein Jammer, wenn man bedenkt, wieviel Arbeit
es sie gekostet hat.
Unser Leinen, das allerdings sorgsamer behandelt wurde, brachte uns bei einem Händler von Dreux doppelt soviel ein wie unseren
Dörflern. Daher meinte Saint-Clair, man sollte die Dörfler lehren, den Flachs besser zu behandeln und zu bearbeiten, dann
könnte man ihnen für das Garn etwas mehr zahlen als ihre Händler und es zusammen mit dem unseren verkaufen.
»Monsieur de Saint-Clair«, sagte ich, »zwar sehe ich ein, welchen Profit die Dörfler und wir dabei gewinnen könnten. Aber
ist es nicht sehr aufwendig, ihnen all das dazu Notwendige beizubringen: die Auswahl des Saatgutes und des geeigneten Bodens,
das Düngen, das sie immer noch zu wenig und zu schlecht machen, vor allem aber das richtige Rösten und Schwingen, das soviel
Sorgfalt und Verstand erfordert?«
Schöne Leserin, bevor ich fortfahre, will ich Ihnen sagen, was man darunter versteht. Wenn der Flachs, der übrigens im Frühling
wunderschön blau oder blaugrün auf unseren Feldern blüht, gerauft und geriffelt ist, wird er geröstet, das heißt, die Baststränge
werden von den umschließenden klebrigen Rindenstoffen befreit. Dazu legt man die Stränge in stark strömendes Wasser. Man muß
aber aufpassen, daß man sie nicht zuviel und nicht zuwenig rotten läßt, denn weder dürfen sie klebrige Reste behalten, noch
dürfen sie verfilzen.
Nach dem Rösten wird der Flachs gebrochen und geschwungen: Man klemmt die Stränge zwischen lange Planken und schlägt sie mit
der Schwinge, einem scharfkantigen Holz, damit sich Holz und Rinde von den Fasern lösen. Danach werden die Fasern gehechelt,
und nun erst beginnt das Werk der Spinnerinnen.
»Natürlich kostet es Mühe, Herr Graf«, sagte Saint-Clair ernst, »und wie die Schöpfung läßt sich so etwas nicht an einem Tag
bewältigen. Aber wir könnten doch zunächst von unserem Bach aus ein gefliestes Gerinne
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