Rosenmörder (German Edition)
Zeitung las.
Ottakring nahm die Bilder wie durch einen Schleier wahr. Er schüttelte sich in
unkontrollierbarem Schluchzen. Die Leute starrten ihn an wie einen
Außerirdischen. Er war hilflos vor Kummer.
Dann holte die Wirklichkeit ihn wieder zurück. Er betrat die
Polizeiinspektion.
»Die Leute sind clean. Nichts Auffälliges, Herr Ottakring. Der in
der oberen Wohnung lebt allein. Unten, das ist ein Alleinerziehender mit einem
elfjährigen Jungen. Alle sind seit sieben Monaten deutsche Staatsbürger, ihre
Pässe sind okay, sie sind korrekt angemeldet, haben keine Vorstrafen, nicht
einmal eine Geschwindigkeitsübertretung ist registriert.«
»Russen oder Russlanddeutsche?«, fragte Ottakring.
»Russlanddeutsche.«
»Was ist mit der Anlage?«
»Hä?«
»Be-schallungs-anlage. Seid ihr blöd?«
»Ah so. Haben wir alles gecheckt. Keine Fingerabdrücke. Ein paar
Fasern am Zaun. Die CD ist selbst gebrannt. Da gibt’s auf
die Schnelle keinen Hinweis, wo die herkommt.«
»Und die ganze Anlage, wo kommt die her? Die liegt doch nicht
einfach so rum.«
»Keine Ahnung. Bis hin zu eBay haben wir alles gecheckt, wo sie die
geschätzten dreieinhalbtausend Euro Neuwert herhaben könnten. Die Anlage ist
aus Privatbesitz, würde ich sagen. Es gibt keine Prints auf den Oberflächen.
Alles ist abgewischt.«
Und wer hat die Reifen aufgeschlitzt?, wollte Ottakring schon
fragen. Aber er ließ es bleiben. Im Moment zog er den Kürzeren.
Die Polizeiinspektion hatte über Nacht ermittelt. Das gefiel ihm.
Trotzdem war er von dem Ergebnis genervt. Andererseits konnte er selbst
schlecht tätig werden, denn offiziell war er befangen.
Das Gesicht, das in der nussbraunen Flüssigkeit in dem Pappbecher
vor ihm schlingerte und schwankte, erschien Ottakring wie eine Voranzeige auf
sein Leben in nächster Zukunft. Er nahm noch einen Schluck Kaffee und behielt
ihn im Mund. Herr Huber war tot. Explodiert. Als sei er gesprengt worden.
Vermutlich war Huber der bisher einzige Hund, der jemals in der
Rechtsmedizin seziert wurde. Ottakrings gute Beziehungen zu Professor
Buchberger hatten wieder einmal Früchte getragen. Die Pathologie in der
Münchener Frauenlobstraße verfügte einfach über technische Möglichkeiten, die
ein Landtierarzt nicht besaß. Buchberger hatte versprochen, herauszufinden, was
sich am Dienstagabend in dem bis dahin quicklebendigen Tierkörper zugetragen
hatte.
Darüber hinaus gab es genügend andere Zeichen, die gar nichts Gutes
verhießen. Unruhe machte sich in Ottakring breit. Er war felsenfest davon
überzeugt, dass das Russenhaus Herrn Huber auf dem Gewissen hatte. Und er
durfte sich nicht wieder von seiner alten Schwäche heimsuchen lassen, seinen
Wunschvorstellungen nachzulaufen, sondern musste die Wirklichkeit so
wahrnehmen, wie sie war. Und die Wirklichkeit war, dass er unfreundliche Nachbarn
hatte. Kriminelle Taten konnte er ihnen nicht nachweisen. Punkt.
Chili
Mit jeder Minute wird es schlimmer.
Als mich Ottakring zum ersten Mal besucht, stehe
ich gerade vor einer neuen Ohnmacht. Für meine vierunddreißig Jahre habe ich
schon relativ viel von dieser Welt gesehen, will noch viel nachholen und bin
deshalb nicht besonders neugierig auf die andere Welt, die mich da drüben
erwartet. Doch zu jeder Sekunde ist mir bewusst, dass es schlecht um mich
steht. Manchmal blüht die Hoffnung wieder auf, aber eigentlich müsste ich tot
sein. Ottakring hat bisher gar nichts gesagt. Er drückt meine Hand, liest die
Botschaft in meinen Augen und beschattet sein Gesicht mit der Hand.
Mein Gehirn bleibt wach. Irgendwie habe ich
mitgekriegt, dass wieder ein, zwei Tage vergangen sind, als ich das nächste Mal
zu mir komme. Ich bin am Leben.
Die Tür geht auf, und Ottakring steht wieder da.
Ich glaub, ich hab ihn angegrinst. Zwei tiefe Falten haben sich von den
Mundwinkeln abwärts in sein Gesicht gegraben, und die Tränensäcke gleichen
frischen Wunden. Seine Sorgen lassen ihn schlanker wirken. Welche Sorgen das
sind, bekomme ich erst jetzt, nach dem Attentat auf seiner Hochzeit, zu hören.
Er schildert mir seine private Situation, die
sich von Tag zu Tag zugespitzt habe. Der zerkratzte Porsche. Der nächtliche
Lärm aus der Beschallungsanlage in seinem Garten. Die tote Katze vor dem
Fenster. Und schließlich die mysteriöse Ermordung seines Hundes.
Du kannst mir glauben, sagt er, dass Herrn Hubers
Tod aufzuklären für mich die gleiche Priorität hat, wie wenn der Papst ermordet
worden wäre. Das Gleiche gilt natürlich
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