Rot wie Schnee
noch einige wenige andere.
Er ließ es klingeln. Gegen seinen Willen trank er einen Grappa. Er zwang sich zu dem scharfen Getränk, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
»Das ist nicht gerecht«, murmelte er, und dabei dachte er nicht an Armas’ Schicksal, sondern an die verpfuschte Lieferung in San Sebastián. Die war hin, alternative Pläne gab es keine.
Er schaltete das Notebook ein, sah die Mails durch und |152| beschloss, auch dieses Gerät auf der Stelle loszuwerden. Klar würde dadurch viel Information verloren gehen. Er wusste nicht, wie er die ungefährlichen Dateien retten könnte, und die Unsicherheit, was sich im Innern des Notebooks verstecken mochte, machte es zu einer Bedrohung.
Nachdem er einen zweiten Grappa getrunken hatte, telefonierte er nach einem Taxi. Mit der Notebooktasche verließ er die Wohnung.
An der frischen Luft ging es ihm sofort viel besser. Der Schmerz im Bauch klang ab, und zufrieden erlebte er, wie das Taxi fuhr. Fast erstaunte es ihn, dass etwas noch wie immer funktionierte.
Er ließ sich zum Müllabfuhrplatz in Libro bringen. Dort war er früher mit Armas gewesen, um alte Papiere und Abfall aus den Lokalen zu entsorgen. Er bat den Taxifahrer, zu warten, kontrollierte, dass ihn niemand sah, und schlug das Notebook mehrfach an den Rand des Containers. Dann versenkte er es zwischen einem alten Büroschrank und Metallschrott.
Er atmete tief durch und blieb ganz still stehen. Aus dem Augenwinkel sah er einen Mitarbeiter näher kommen. Beschwerst du dich, dann bring ich dich um, dachte er, aber der Mann sah ihn aus müden Augen nur gleichgültig an.
Slobodan Andersson ging mit der leeren Notebooktasche wieder zum Taxi und ließ sich zum »Alhambra« fahren. Erschöpft lehnte er sich im Fond zurück und überlegte, ob er Rosenberg anrufen sollte, beschloss aber abzuwarten. So hätte Armas gehandelt, dachte er, und begriff, auf einmal tief traurig, dass er ihn sehr vermissen würde.
|153| 23
E va und Patrik warteten am Empfang des Polizeipräsidiums. Patrik setzte sich, aber Eva sah sich um. Dem Empfangstresen direkt gegenüber hing ein Kunstwerk, das einen riesengroßen Männerkopf darstellte. Eva fand ihn grotesk, und sie fragte sich, was man sich wohl dabei gedacht haben mochte, eine so erschreckende Figur an einem Ort aufzuhängen, wo man Besucher empfing.
Sie sah auf die Uhr. Barbro Liljendahl hatte elf Uhr gesagt, und jetzt war es zehn nach elf. Sie ging zu Patrik, der auf seinem Stuhl zusammengesunken war.
»Sie kommt bestimmt gleich«, sagte sie.
Patrik sah sie nicht an und sagte auch nichts. Wie kann er nur so ruhig sein?, dachte sie.
Viertel nach elf erschien Barbro Liljendahl. Sie entschuldigte sich, aber Eva hatte den Verdacht, dass sie bewusst zu spät kam.
Eva hatte schon immer ihre Schwierigkeiten mit Polizistinnen. Sie fand, Frauen und Uniformen passten nicht zusammen. Kürzlich hatte sie im Fernsehen eine Reportage über amerikanische Soldaten im Irak gesehen. Zu der Einheit gehörten zwei Frauen. Eine hieß Stacey. Sie sprach energisch und selbstsicher über ihre »Mission«, in einer kleinen Stadt außerhalb von Tikrit aufzuräumen. Sie sprach über den Befehl, als handele es sich darum, Mäuse oder andere Schädlinge auszurotten. Der Helm war im Verhältnis zum Gesicht riesig. Sie kaute Kaugummi, und in ihren Augen war nicht ein Hauch von Zweifel zu erkennen, nur eine Gewissheit, die beunruhigte.
Eva und Patrik wurden in einen kleinen Raum gebracht. Liljendahl nahm hinter einem Schreibtisch Platz, auf dem nichts als ein Ordner und fünf Büroklammern aufgereiht lagen. |154| Sie forderte sie auf, sich ihr gegenüber hinzusetzen. Eva wäre am liebsten stehen geblieben, fand das aber kindisch.
Barbro Liljendahl schlug den Ordner auf, klappte ihn jedoch sofort wieder zu, sah Patrik an und wandte sich schließlich an Eva.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte sie, und Eva nickte unmerklich.
»Das ist ja eine dumme Geschichte«, fuhr sie fort. »Das kann Ärger bringen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis.«
Eva dachte an den Streifenwagen auf dem Hof und an alle Kinder, die ihn umringt hatten.
»Uns liegt eine Anzeige wegen Misshandlung vor. Von vorgestern. Drei Zeugen haben angegeben, sie hätten gesehen, wie ein Mann von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen wurde, wie groß die Gruppe war, ist nicht klar. Es können drei oder vier gewesen sein, die Aussagen gehen auseinander. Die Misshandlung wurde nicht angezeigt, das Opfer entfernte sich aus
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