Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
aus.
»Bitte verzeih mir, dass ich dir eine Augenbinde anlegen lassen musste. Aber das ist leider notwendig.« Seine Stimme klang anders, irgendwie tiefer und heiserer. Gütiger Himmel, er klang geradezu nach Sex.
Ich nickte, um ihm zu signalisieren, dass ich verstanden hatte. Zu sprechen wagte ich nicht.
»Hast du Angst, Sabina?« Statt Mitgefühl konnte ich in seiner Stimme Belustigung ausmachen. Ich biss die Zähne zusammen und bemühte mich um Beherrschung.
»Nein.« Ich klang ein wenig unsicher. Also räusperte ich mich. »Ich mag es nur nicht, wenn man Spielchen mit mir treibt.«
»Warte nur ab. Sie werden noch viel besser.« Er lachte. »Bist du bereit, mir deine Loyalität unter Beweis zu stellen?«
»Ja, das bin ich«, erwiderte ich und hob das Kinn, um ihm zu demonstrieren, dass ich mich nicht so leicht einschüchtern ließ.
Er nahm meine Hand und führte mich ein paar Schritte weiter. Dann ließ er mich wieder los. »Bitte setze dich.« Sein höflicher Tonfall konnte nicht über die Drohung hinwegtäuschen, die in seiner Stimme lag. Er half mir, mich auf einem Stuhl mit hölzernen Armlehnen niederzulassen. Ich hatte es mir gerade mehr oder weniger bequem gemacht, als ich eine kalte Metallfessel an meinem rechten Handgelenk spürte. Noch ehe ich mich wehren konnte, hatte Clovis auch meinen linken Arm fixiert. Nun war ich endgültig gefangen.
Ich kämpfte gegen die Fesseln an, trat mit den Füßen um mich und fluchte. »Arschloch!« Verzweifelt riss ich an den kalten Metallreifen, da ich hoffte, sie vielleicht doch aufzubekommen. Aber sie rührten sich nicht. Die Handschellen mussten innen mit Kupfer beschlagen sein, das mir die Kraft raubte.
»Bist du bald fertig?«, fragte Clovis, der offenbar hinter mir stand.
Ich keuchte so heftig, dass es mir schwerfiel, ihm zu antworten. »Warum? Was soll das?«, brachte ich schließlich mühsam heraus.
»Es ist eigentlich nur zu deinem eigenen Schutz gedacht«, erklärte er. »Wenn du dich gegen mich wehrst, während ich von dir trinke, würde das nur die Raubtierinstinkte in mir wecken. Und das wollen wir doch nicht – oder?«
Mir gefror das Blut in den Adern, auch wenn ich bereits gewusst hatte, worauf dieser Treuebeweis hinauslaufen würde. Wieder einmal fragte ich mich, wie mir meine Großmutter das antun konnte. Sie wusste genau, was es bedeutete, einen anderen Vampir an seine Vene zu lassen. Indem ich Clovis gestattete, von mir zu trinken, erkannte ich ihn als meinen Herrn und Meister an. Allein dieser Gedanke brachte meinen Magen dazu, erneut zu verkrampfen.
Ich holte tief Luft, um nicht in Panik zu geraten. Die Augenbinde und die Handfesseln vermittelten mir das Gefühl, nicht entkommen zu können, so dass ich nur das eine Bedürfnis verspürte – zu fliehen.
»Die … Augenbinde … muss … weg.« Ich hechelte wie eine Gejagte. Inzwischen war es mir egal, ob ich Schwäche zeigte oder nicht.
Sofort wurde mir die Binde abgenommen. Ich blinzelte ins schwache Licht des Zimmers. Nachdem sich meine Augen daran gewöhnt hatten, dass sie wieder sehen konnten, blickte ich mich um. Ich saß in einem riesigen Gemach, das von Fackeln an den Wänden erhellt wurde. Clovis stand inzwischen vor mir, nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Er trug eine lange schwarze Seidenrobe mit einem gestickten roten Drachen über
dem Herzen. Er wartete geduldig ab, bis ich mich umgesehen hatte.
Zu seiner Rechten, etwa sechs Meter von uns entfernt, stand das größte Bett, das ich jemals erblickt hatte. Es hatte vier geschnitzte Pfosten aus Ebenholz, auf denen ein roter Seidenbaldachin ruhte. Besonders anrüchig sahen jedoch die meterlangen schwarzen Satintücher aus, mit denen die Matratze bedeckt war. Die ganze Konstruktion sah aus wie einem Gothic-Pornofilm entsprungen.
Meine Augen wanderten wieder zu Clovis zurück. Er grinste und entblößte zum ersten Mal seine Eckzähne. »Wollen wir anfangen?«
Jetzt war es also so weit. Wenn ich mich jetzt weigerte oder zurückschreckte, würde dies das Aus für meine Mission bedeuten. Doch tief in meinem Inneren wollte ich nichts lieber als »Großmutter!« schreien und mit eingezogenem Schwanz davonlaufen. Ich wollte mich nicht nur Clovis nicht unterwerfen – oder sonst irgendjemandem -, sondern ich fand auch die Vorstellung, dass er mir einen Teil meiner Kraft raubte, ekelerregend und zutiefst erschreckend. Er würde mir etwas von meinem Selbst wegnehmen, jener Quelle, die mich zu dem machte, was ich war.
Auf einmal
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