Roter Drache
beziehen und ins Komische zu drehen. Aber sein Interesse ging in eine ganz andere Richtung.
»Die werden einfach nicht klug aus Ihnen«, fuhr sie fort. »Jedenfalls finden sie Sie sehr geheimnisvoll und interessant. Ist das etwa nicht schmeichelhaft?«
»Haben sie Ihnen gesagt, wie ich aussehe?«
Er stellte die Frage wie beiläufig und bekam den Ton auch sehr gut hin; trotzdem spürte Reba, was wirklich hinter seiner Frage steckte. Dennoch wich sie ihr nicht im geringsten aus.
»Ich habe sie nicht gefragt, aber es stimmt - sie haben mir gesagt, wie sie finden, daß Sie aussehen. Möchten Sie es hören? Wortwörtlich? Wenn nicht, fragen Sie einfach nicht.«
Sie war sicher, daß er fragen würde.
Keine Antwort.
Plötzlich hatte Reba das Gefühl, völlig allein im Raum zu sein. Die Stelle, wo er gesessen hatte, war mit einem Mal leerer als leer - ein schwarzes Loch, das alles verschluckte und nichts ausstrahlte. Ihr war klar, daß er unmöglich verschwunden sein konnte, ohne daß sie etwas gehört hätte.
»Dann sage ich es Ihnen einfach so«, erklärte sie schließlich. »Ihnen haftet eine Art herber, zurückhaltender Korrektheit an, die ihnen gefällt. Sie sagen, Sie haben einen tollen Körper.« Ganz eindeutig konnte sie es jedoch nicht darauf beruhen lassen. »Sie haben auch gesagt, daß Sie hinsichtlich Ihres Gesichts sehr empfindlich wären, wozu jedoch nicht der geringste Anlaß bestünde. Sie kennen doch sicher diese verrückte Nudel mit den roten Haaren - Eileen heißt sie, glaube ich?«
»Ja, Eileen.«
Endlich eine Reaktion. Sie kam sich vor wie ein Astronom, der ein Lichtsignal von einem unendlich fernen Stern auffing.
Reba war eine hervorragende Stimmenimitatorin. Sie hätte Eileens Sprechweise zum Verwechseln ähnlich wiedergeben können, doch sie hütete sich, in Dolarhydes Gegenwart irgend jemandes Sprechweise nachzumachen. Also zitierte sie Eileen, als läse sie ihre Aussage von einem Blatt Papier ab. »›Er sieht gar nicht mal so übel aus. Ehrlich gestanden, bin ich schon mit einer ganzen Reihe Männer ausgegangen, die nicht so gut ausgesehen haben. Einmal war ich mit einem Eishockeyspieler aus - ich glaube, er hat für die Blues gespielt -, und der hatte so eine Vertiefung in seiner Oberlippe, wo sein Zahnfleisch irgendwie geschrumpft war. Bei Eishockeyspielern ist das fast an der Tagesordnung. Ich finde - wie soll ich es sagen? - ich finde das irgendwie sehr männlich... macho. Mr. D. hat außerdem eine fantastischeHaut - und erst sein Haar..‹ Sind Sie jetzt zufrieden? Ach, und sie hat mich gefragt, ob Sie auch so stark wären, wie Sie aussehen.«
»Und?«
»Ich habe gesagt, das wüßte ich nicht.« Sie trank ihr Glas leer und stand auf. »Wo sind Sie überhaupt, D.?« Sie wußte, wenn er sich zwischen ihr und einem der beiden Stereolautsprecher bewegte. »Aha, hier sind Sie. Wollen Sie wissen, was ich darüber denke?«
Sie fand mit ihren Fingern seinen Mund und küßte ihn, indem sie ihre Lippen leicht auf seine zusammengebissenen Zähne drückte. Sie spürte sofort, daß der Grund für seine Verkrampftheit nicht Widerwille war, sondern Schüchternheit.
Er war perplex.
»Und könntest du mir jetzt vielleicht zeigen, wo das Bad ist?«
Sie ergriff seinen Arm und ging mit ihm den Flur hinunter.
»Zurück finde ich schon alleine.«
Im Bad tupfte sie ihr Haar zurecht und tastete mit ihren Fingern die Ablage über dem Waschbecken nach einer Tube Zahnpasta oder einem Mundwasser ab. Als sie hier nicht fündig wurde, machte sie sich auf die Suche nach einem Medikamenteschränkchen. Als sie es schließlich ertastete, stellte sie fest, daß es über keine Tür verfügte und die einzelnen Regale offen zugänglich waren. Wohlweislich auf der Hut vor einem Rasiermesser, tastete sie seinen Inhalt ab, bis sie auf ein Fläschchen stieß. Sie schraubte die Verschlußkappe ab, um sich zu vergewissern, daß der Inhalt des Fläschchens nach Mundwasser roch, und spülte sich damit den Mund aus.
Als sie in den Salon zurückkehrte, hörte sie ein vertrautes Geräusch - das Surren eines Filmprojektors. »Ich muß nur noch kurz etwas erledigen - Hausaufgaben sozusagen«, erklärte Dolarhyde und reichte ihr einen frischen Martini.
»Sicher.« Sie wußte nicht recht, was sie davon halten sollte. »Wenn ich dich von der Arbeit abhalte, gehe ich mal lieber. Könntest du mir bitte ein Taxi rufen?«
»Nein. Ich möchte, daß du hier bleibst. Ich muß mir nur kurz einen Film ansehen. Das wird nicht lange dauern.«
Er wollte sie
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