Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
dazusitzen und Lillian zuzuhören. Die Frauen, die sonst in die Lodge kamen, unterhielten sich kaum mit Mara. Oft schienen sie sogar eher enttäuscht zu sein, dass sie da war. Es verdarb ihre romantische Vorstellung von John, dem einsamen Jäger, dass er eine Frau hatte.
Lillian ergriff die Schultertasche. Darin klirrte Metall an Metall.
»Das ist meine Werkzeugtasche«, sagte sie. »Als Katharine Hepburn im Kongo war – und African Queen drehte –, hatte sie immer die wichtigsten Dinge dabei.« Der Inhalt der Tasche ergoss sich aufs Bett: eine Taschenlampe mit zusätzlichen Batterien, ein Kompass, Verbandsmaterial.
Mara zog die Augenbrauen hoch, als ein emaillierter Kochtopf ohne Deckel auftauchte. »Wofür ist das?«
Lillian ergriff ihn und betrachtete ihn von allen Seiten, als sei es eine ungewöhnliche Antiquität. »Für den Fall, dass es keinen Nachttopf gibt. Die Hepburn hat großen Wert darauf gelegt, immer und jederzeit zur Toilette gehen zu können. Ihr Vater war Urologe, wissen Sie.« Sie wartete, bis Mara genickt hatte, dann packte sie weiter aus. »Bis jetzt habe ich natürlich noch keines von diesen Dingen gebraucht. Aber jetzt, da wir hier so weit draußen sind – wer weiß?« Sie blickte durch das Fenster. Hinter den fedrigen Blättern einer Akazie sah man in der Ferne das vertrocknete Gras. Leuchtend blau spannte sich der Himmel darüber. »Gibt es da unten Löwen?«, fragte sie ängstlich.
»Ja, aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, antwortete Mara beruhigend. »Sie kommen nur sehr selten aus der Ebene herauf. Und wenn Sie das Gelände der Lodge verlassen müssen, ist immer der Ranger bei Ihnen.« Erleichtert sah sie, dass die Spannung aus Lillians Gesicht wich.
»Ihnen kann nichts passieren – das verspreche ich.«
»Oh, ich habe eigentlich keine Angst«, sagte Lillian. »Ich mag Löwen. Haben Sie diesen Film gesehen, Frei geboren? Die Frau war natürlich ganz falsch besetzt – und der Mann hat auch nicht viel getaugt. Aber die Löwen waren hinreißend.«
Mara versuchte, eine passende Antwort zu finden, aber sie konnte nur an die zerfetzten Kadaver der Zebras und die Blutflecken auf dem Gras denken. »Soll ich Ihnen helfen, den Koffer auszupacken?«, sagte sie schließlich und wies auf den größten der Koffer.
»Noch nicht«, erwiderte Lillian. »Das ist die Garderobe. Auch das Make-up ist darin. Wir packen ihn dort aus, wo die Garderobe sein wird … Carlton wird Sie vermutlich darauf ansprechen. Oder Rudi vielleicht auch. Aus diesen Abteilungen ist keiner hier. Peter und ich haben eingewilligt, uns selbst um unsere Garderobe zu kümmern. Es ist eine sehr ungewöhnliche Situation. Jeder schränkt sich ein – damit der Film gerettet werden kann.« Sie blickte zum Fenster und senkte verschwörerisch die Stimme, bevor sie fortfuhr: »Der Zeitplan ist im Eimer, und das Budget ist weit überschritten.« Sie wandte sich wieder ihrem Koffer zu und holte einen Seidenkimono heraus. »Aber die Kopien sind fabelhaft. Da entsteht ein Meisterwerk. Sie werden den Film ja eines Tages sehen, und dann werden Sie verstehen, warum wir alle unser Bestes geben.« Als sie zur Tür trat, um den Morgenmantel aufzuhängen, kam sie dicht an Mara vorbei. Sie blieb stehen und blickte ihr direkt in die Augen. Es war der intensive Blick, der Mara bereits an ihr aufgefallen war – als wenn ein Licht eingeschaltet worden wäre. Sie fühlte sich förmlich zu der Helligkeit hingezogen. »Es wird einer dieser Filme sein, an die man sich für den Rest seines Lebens erinnert.« Die Worte schienen in dem stillen Raum nachzuhallen wie ein Versprechen oder ein Fluch. Dann war der Moment vorüber. Lillian lächelte Mara an. »Ich hätte jetzt übrigens gerne den Gin Tonic.«
»Ja, natürlich«, sagte Mara und sprang auf. »Ich schicke Ihnen sofort Kefa.«
Mara saß neben dem Kopfende des großen Esstisches, auf dem Platz, der sonst immer für John reserviert war. Stolz stieg in ihr auf, als sie sich im Raum umblickte. Alle Tische waren eingedeckt. Die Weingläser blitzten, und an jedem Gedeck lag frisch geputztes Silberbesteck. Gestärkte Leinenservietten, zu Dreiecken gefaltet, hoben sich vom dunklen Holz ab. Vervollständigt wurde der beeindruckende Anblick durch Vasen mit weißen, apricotfarbenen und rosa Bougainvilleen. Kerzen und Sturmlaternen tauchten das Zimmer in ein gedämpftes Licht, obwohl der Generator immer noch lief.
Kefa dirigierte die Gäste mit weit ausholenden Gesten zu ihren Plätzen.
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