Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
doch würde er unablässig auf die Geräusche des Buschs lauschen, auf das Knacken von Ästen, das leise Grollen eines Leoparden.
Mara konnte den duftenden Rauch des Lagerfeuers, der sich mit dem Insektenschutzmittel und dem getrockneten Schweiß vermischte, fast riechen. Sie konnte das Zischen der Tilley-Lampe hören und das leise Knistern der Insekten, die am heißen Glaszylinder verbrannten. Was mochten diese Fußsafari-Kunden wohl zu Abend gegessen haben?, fragte sie sich.
Und wer waren sie?
Sie versuchte, den Gedanken zu vertreiben, ihn abzuschneiden wie ein Stück Garn und zu einem neuen Faden zu greifen. Und doch stellte sie sich immer wieder die Gesichter am Feuer vor. Die Augen blitzten im Feuerschein, die Wangen leuchteten orange. Wettergegerbte Männergesichter, sonnenverbrannt und hart. Tiefe Stimmen. Und dann erhob sich eine helle, silbrige Stimme darüber. Schlanke Beine, die am Feuer vorbeigingen …
Frauen gehen nicht auf Fußsafaris in die Selous, sagte Mara sich. Das ist ja sogar für Männer hart.
Und doch hing sie dieser Vorstellung nach – wie eine Motte flatterte sie ins Licht, immer weiter, auch als die Hitze ihr schon die Flügel zu versengen begann.
Vielleicht war doch eine Frau dabei, eine Tochter vielleicht oder eine Frau, die ihren Mann nicht liebte – oder sogar eine dieser weiblichen Zoologen, die die Leute bewunderten. Mara war solchen Frauen einmal begegnet – sie waren auf dem Weg zu Jane Goodall gewesen, harte, unabhängige, interessante und attraktive Frauen.
Streng befahl sich Mara, sich solche Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Ihnen nicht nachzugeben.
Aber stattdessen wandte sie sich vom Fenster ab und lief durchs Zimmer. Im nächsten Moment stand sie vor Johns Kommode und durchwühlte blindlings die Stapel von gebügelten Shorts und Socken, die zu Paaren gerollt waren …
Und da war sie – die alte Buschweste lag ganz hinten in der Schublade, weil sie nicht mehr gebraucht wurde.
Sie nahm aus der Brusttasche einen Umschlag, zog langsam zwei Fotos heraus und hielt sie, eines unter dem anderen, in den Schein der Lampe. Sie versuchte, sie mit milder Neugier zu betrachten – so wie Carlton die Fotos an der Wand im Wohnzimmer angeschaut hatte.
Das Licht spielte über die matte Oberfläche des ersten Fotos und hob die unnatürliche Kodachromfarbe hervor. Das Bild zeigte eine große Frau mit langen, blonden Haaren, die neben John stand. Sie standen dicht beieinander, Schulter an Schulter, Hüfte an Hüfte – kein totes Tier lag zu ihren Füßen oder drängte sich zwischen sie. Ihre Haare und Augen hatten die gleiche Farbe, und sie sahen aus wie Geschwister. Man hätte vermuten können, dass sie sich schon seit Jahren kannten, so entspannt und locker standen sie da. Nichts war von dem verführerischen Posieren oder dem falschen Wagemut zu erkennen, das sonst die Fotos von Jäger und Kunden auszeichnete. Die Frau blickte gelassen und freimütig in die Kamera.
Sie sah aus wie jemand, den man gerne kennenlernen wollte. Sie sah nett aus.
Mara schloss die Augen, als sich die schmerzhafte Eifersucht in ihrem ganzen Körper ausbreitete.
Aber sie betrachtete auch die zweite Fotografie.
Darauf war nur sie zu sehen.
Matilda .
Mara sagte leise den Namen. Er klang leicht und hübsch, brachte aber auch eine gewisse Schwere und Gewichtigkeit mit sich.
Matilda stand auf den Stufen des Muthaiga Clubs in einem langen, schmalen silbernen Abendkleid mit passender Stola. Die Kleidungsstücke glänzten im Schein des Kamerablitzes; Matilda sah aus wie eine in Mondschein eingehüllte Göttin. Ihre Lippen waren dunkelrot geschminkt, und die Haare hatte sie hochgesteckt. Mit ihrer Haltung und ihrer Schönheit hätte sie ein Filmstar sein können – wie Lillian Lane.
Mara zog ein gefaltetes Blatt Papier aus dem Umschlag. Sie faltete es auf, obwohl sie es eigentlich nicht brauchte. Sie kannte den Text Wort für Wort auswendig; sie kannte bereits die Form jedes handgeschriebenen Buchstabens und die geschwungenen, leicht nach unten abfallenden Zeilen.
Sie hatte den Umschlag zufällig gefunden, als sie auf der Suche nach einem alten Hemd in Johns Schublade gekramt hatte. Der Küchen-Boy hatte die Aufgabe, die gewaschene Wäsche des Bwana wegzuräumen – und als Mara die alte Weste gefunden hatte, die zusammengerollt hinter einem Stapel Khakishorts lag, hätte sie den Boy fast schon gerufen, um ihn zu fragen, warum sie nicht im Schrank hing. Aber dann hatte sie die Ecke des Umschlags
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