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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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schüttelte den Kopf.
    »Die meisten Frontkämpfer haben ihre Strafe abgesessen und sich dann wieder in die Gesellschaft integriert. Viele von ihnen haben sich überraschend gut geschlagen, trotz der Brandmarkung als Landesverräter. Aber vielleicht ist das gar nicht so erstaunlich, denn es zeigt sich ja immer wieder, dass es Leute mit gewissen Ressourcen sind, die in kritischen Situationen wie so einem Krieg Stellung beziehen.«
    »Der, nach dem wir suchen, kann also jemand sein, der es im Leben zu etwas gebracht hat?«
    »Durchaus.«
    »Eine Stütze der Gesellschaft?«
    »Nein, die Türen zu den national wichtigen Positionen in Wirtschaft und Politik waren ihm wohl versperrt.«
    »Aber er kann selbständig tätig gewesen sein, Firmengründer. Auf jeden Fall jemand, der genug Geld verdient hat, um sich eine Waffe für eine halbe Million zu kaufen. Auf wen kann er es abgesehen haben?«
    »Muss das unbedingt etwas mit seinem Frontkämpferhintergrund zu tun haben?«
    »Irgendetwas sagt mir, dass es so ist.«
    »Ein Rachemotiv, meinen Sie?«
    »Ist das so unwahrscheinlich?«
    »Nein, auf keinen Fall. Viele Frontkämpfer betrachten sich selbst als die wahren Patrioten in diesem Krieg. Aus dem Blickwinkel von 1940 haben sie zum Besten der Nation gehandelt. Dass wir sie dann als Landesverräter verurteilt haben, erachten sie als den reinsten Justizmord.«
    »Also?«
    Juul kratzte sich hinter dem Ohr.
    »Tja. Die Richter von damals sind heute zum größten Teil tot. Und das Gleiche gilt für die Politiker, die die Grundlagen für diese Verfahren geschaffen haben. Die Rachetheorie steht auf wackeligen Füßen.«
    Harry seufzte.
    »Sie haben Recht. Ich versuche nur, mir ein Bild aus den wenigen Puzzleteilen zu machen, die ich habe.«
    Juul sah rasch auf die Uhr. »Ich verspreche Ihnen, über die Sache nachzudenken, aber ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihnen helfen kann.«
    »Trotzdem danke«, sagte Harry und erhob sich. Dann fiel ihm etwas ein und er zog einen Stapel zusammengefalteter Zettel aus seiner Jackentasche.
    »Ich habe eine Kopie von der Aussage des Zeugen in Johannesburg gemacht. Könnten Sie einmal einen Blick darauf werfen? Vielleicht finden Sie ja etwas Wichtiges.«
    Juul sagte ja, schüttelte aber gleichzeitig den Kopf.
    Als Harry im Flur seine Schuhe anziehen wollte, deutete er auf das Bild des jungen Mannes in dem weißen Anzug.
    »Sind Sie das?«
    »In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, ja«, lachte Juul. »Das ist vor dem Krieg in Deutschland aufgenommen worden. Ich sollte in die Fußstapfen meines Vaters und Großvaters treten und dort Medizin studieren. Als der Krieg ausbrach, habe ich mich auf den Weg nach Hause gemacht, und irgendwo sind mir meine ersten Geschichtsbücher in die Hände gefallen. Danach war es zu spät: Ich war abhängig geworden.«
    »Sie haben die Medizin also fallen gelassen?«
    »Kommt drauf an, wie man es betrachtet. Ich wollte eine Erklärung dafür finden, wie ein Mensch, eine Ideologie so viele andere Menschen verführen konnte. Und vielleicht auch – eine Medizin finden.«
    Er lachte. »Ich war damals sehr, sehr jung.«
     
    Continental Hotel, zweite Etage, 1. März 2000
     
    37 »Schön, dass wir uns auf diese Weise treffen können«, sagte Bernt Brandhaug und hob sein Weinglas.
    Sie prosteten sich zu und Aud Hilde lächelte den Staatssekretär an.
    »Und nicht nur dienstlich«, fügte er hinzu und hielt ihrem Blick stand, bis sie die Augen niederschlug. Brandhaug betrachtete sie. Sie war nicht direkt schön, hatte etwas zu grobe Züge und war vielleicht ein wenig rundlich. Doch sie hatte ein charmantes, gewinnendes Wesen, und wenn sie mollig war, dann auf eine jugendliche Weise.
    Sie hatte ihn am Vormittag vom Personalbüro aus wegen irgendeiner Sache angerufen, die sie, wie sie sagte, nicht richtig zu handhaben wisse, und noch ehe sie mehr dazu hatte sagen können, hatte er sie zu sich hinauf ins Büro gebeten. Kaum war sie bei ihm oben angelangt, hatte er sich entschlossen, Zeitmangel vorzugeben und vorgeschlagen, die Angelegenheit lieber bei einem Essen nach der Arbeit zu besprechen.
    »Ein paar Abwege dürfen wir uns als Staatsangestellte wohl auch mal leisten«, hatte er geraunt. Sie dachte vermutlich, er meinte das Essen.
    Bis jetzt war alles gut gegangen. Der Oberkellner hatte ihm den üblichen Tisch gegeben, und soweit er das sehen konnte, waren keine bekannten Gesichter im Restaurant.
    »Ja, es geht also um diese merkwürdige Sache von gestern«, sagte sie und

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